Ich bin schuld
Das ist quasi mein zweiter Name als Lehrer 1.0. Was ist Schuld eigentlich?
Als Voraussetzung für Schuld wird meistens angenommen, dass der Schuldige die Wahlmöglichkeit hatte, die als schlecht definierte Tat zu unterlassen. In der Philosophie wird die Schuldfähigkeit deshalb oft auf die Willensfreiheit zurückgeführt. Nach der Theorie des Determinismus, welche bei rückschauender Betrachtung das Handeln des Menschen in anlage- und umweltbedingten Bestimmungskräften begründet sieht, ist in Ermangelung der Fähigkeit des Menschen, sich frei zwischen Gut und Böse zu entscheiden, dem Schuldprinzip der Boden entzogen.
Kompliziert. Zumal es ja auch noch weitere Dimensionen von Schuld gibt, z.B. die Schuld gegenüber der eigenen Person – meist offenbar an so Dingen wie mangelnde Selbstannahme, die eine Fülle von Verhaltensweisen und Gang zu setzen vermag, die weitere Schuld gegenüber anderen Menschen evoziert: Wer sich selbst nicht lieben kann, vermag das auch nicht bei anderen Menschen – einer der wenigen Punkte, in dem sich Psychologie und Christentum einmal einig zu sein scheinen.
Beziehungen scheitern gar nicht einmal so selten an gegenseitigen Schuldzuweisungen. Schuld zuweisen hat eine immens wichtige psychologische Funktion: Mit der Übertragung von Schuld nehme ich Verantwortung von meiner eigenen Person – wenn etwas oder jemand schuld sein kann, dann bin ich es nicht mehr und Verantwortung habe ich auch keine. Selbstschutzmechanismus.
Lehrer machen das, wenn sie sagen: Tja. Das System ist schuld – ich kann gar nicht anders handeln. So ganz klappt diese Strategie in der Fläche zwar nicht ganz, aber es ist eine symptomatisch orientierte Strategie, die Momentansymptome zu bekämpfen vermag, aber eben auch Energie erfordert, vielleicht genau die Energie, die zum Umsteuern des Tankers erforderlich ist.
Viele Kräfte in der Gesellschaft wissen, dass das Schulsystem schuld ist, z.B. an psychischen Krankheiten unter SuS, an wachsender Gewaltbereitschaft, an der Gefährdung der Zukunftfsähigkeit dieses Landes usw.. Sie haben Recht.
- Wie attraktiv ist ein Beruf, der schuldbeladen ist?
- Wie frei agiert ein Mensch, dem Schuld zugewiesen wird?
- Welches Vorbild wird er seinen SuS sein?
- Wie defizitorientiert wird er agieren?
Die Schuld bleibt. Der Energieverbrauch zur Abwehr der Schuldzuweisungen auch. Die Konsequenzen für die SuS obendrein. Man müsste einmal darüber sprechen, wie man damit umgeht – z.B. bei einer verpflichtenden Supervision. Ich wage zu behaupten, dass dort 95% der Probleme mit dem Thema Schuld zu tun haben werden.
- Wie machen das Lehrerinnen und Lehrer, die wir als Vorbild sehen?
- Welche psychologischen Strategien wenden sie an?
- Wie viel Schuld tragen sie?