Cyrano de Bergerac (Edmond Rostand) – eine Theateraufführung am CAG
„Niemand zündet ein Licht an und setzt es in einen Winkel, auch nicht unter einen Scheffel, sondern auf den Leuchter, damit, wer hineingeht, das Licht sehe“ , ist uns gesagt im Evangelium des Lukas im Kapitel 11, Vers 33.
Das Musketier Cyrano (Anne Wigbers) hat sich unsterblich in Roxane (Tina Schuckmann) verliebt, einem Mädchen von unbestreitbarer Schönheit und Anmut. Er ist selbst zu der Zeit, zu der das Stück „Cyrano de Bergerac“ von Egmond Rostand spielt, ein Mann der alten Schule. Kühn und mutig im Kampf, hochgeachtet von seinen ihm anvertrauten Kadetten (Anja Belke, Janna Meyer, Judith Twenhövel, Katrin Weilbach, Stefanie Bittner) hat ihn der Herrgott zusätzlich mit lyrischen Fähigkeiten und sprachlicher Gewandtheit gesegnet – Vorzüge, die ihm die Zuneigung einer jeden Dame bescheren müssten, da sie romantische Assoziationen zu den alten ritterlichen Tugenden aufkommen lassen.
So sehr sich in der Figur Cyrano dem Zuschauer nach innen ein galanter Charakter, ein Chevalier, ein leuchtendes Licht geistiger und gesellschaftlicher Fähigkeiten präsentiert, so harsch und eigenwillig verhält sich das Musketier gegenüber der Außenwelt. Stets zu einem Duell aufgelegt zieht er nicht nur einmal den Unmut seines Vorgesetzten Graf Guiche (Barbara Hachmöller) auf sich. Seine viel wahrhaftigere feine Innenseite präsentiert er nur seinem engsten Vertrauten Le Bret (Marina Siemers).
Ursache für dieses ambivalente Bild ist ein körperlicher Makel Cyranos: Er besitzt eine monströse Nase. Bemerkungen – und seien sie noch so klein – über dieses Körperteil bekommen denen, die sie ausgesprochen haben, meistens nicht gut. Gleichwohl verfolgt ihn der Spott seiner Mitmenschen hinter der vorgehaltenen Hand.
Seines äußeren Mangels eingedenk leiht Cyrano seine literarischen Fähigkeiten dem jungen, unerfahrenen Schönling Christian de Neuvillette (Daniel Tiemerding), der nun an Cyranos statt um die Angebete werben soll. Cyrano möchte durch ihn zu seiner Roxane sprechen, er möchte durch ihn seine Briefe, seine Gedanken, seine Gedichte überbracht sehen, da er sich selbst ob seines optischen Makels zu gering für ein direktes Werben erachtet.
Tatsächlich geht der Handel scheinbar auf: Roxane ist hingerissen von den vermeintlichen Briefen Christians, der jedoch in tatsächlichem Kontakt mit ihr erstaunlich wenig Schöngeistiges zu sagen weiß, wenn es ihm nicht durch Cyranos Mund souffliert wird. In einer Balkonszene in der Tradition Romeos und Julias wird die Einseitigkeit des Handels offenbar: Cyrano spricht mit seiner Stimme anstelle von Christian in Dunkeln – Christian erhält jedoch den belohnenden Kuss.
Verwickelt geht die Handlung weiter, in der Cyrano mehr als einmal Christian in seinem Werben unterstützt, ja sogar die Hochzeit der beiden organisiert, um eine Vermählung „seiner“ Roxane mir Graf Guiche zuvorzukommen. Während dieser Zeit wird sich Christian seines eigenen Makels mehr und mehr bewusst: Sein Inneres kann sich mit dem Cyranos nicht messen. Er ist charakterlich nicht der Mann, den Roxane durch den Betrug der beiden in ihm sieht.
Christian stirbt als junger Kadett im Kreise der übrigen Soldaten und Hauptmann Carbon (Nicola Hachmöller) auf dem Feld in Cyranos Obhut – Cyrano enthüllt die Wahrheit nicht. Roxane geht daraufhin in ein Kloster – Cyrano enthüllt die Wahrheit über Jahre nicht, um Roxane der Illusion einer perfekten Liebe nicht zu berauben. Dass er sie dadurch unempfänglich für jedwedes neue Liebesgefühl und damit erst richtig leidend macht, muss erst durch einen Zufall aufgedeckt werden – doch da ist es zu spät, denn Cyrano, gramzerfressen, und mit nichts außer seinen literarischen Fähigkeiten ausgestattet, stirbt theatralisch im Moment der beidseitigen Erkenntnis. So muss die Aussprache der beiden nach dem Tod im Engelsgewand, aber dennoch auf der Bühne vor Publikum erfolgen.
Die schwierige und dichte Sprache des Stückes ist durchgehend gereimt und durchzogen von Sprachwitz. Das immens hohe Spiel- und damit auch Sprechtempo stellte die Zuschauer vor nicht immer leichte Aufgaben – stets sorgte der Witz der Sprache jedoch für ein Schmunzeln oder gar einen Lacher. Ein gereimtes Rezept des Kochs Ragueneau (Jan Schulte) bot hierbei einen der Höhepunkte, wenngleich seine Frau Lise (Luise Busse) sich davon unbeeindruckt zeigte und lieber mit einem Musketier (Linda Ammerich) anbandelte. Unfassbar schien mir hin und wieder die erforderliche Leistung der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf die Textsicherheit – das Stück besitzt wahrlich nicht wenig Text.
Beeindruckend zu sehen war weiterhin, wie das gesamte Ensemble die Bühne auch in den vermeintlichen Nebenrollen stets mit hintergründigem Leben füllte. Ein Taschendieb (Constanze Arnold), zwei Kinder (Fidan Mutlu, Linda-Maria Mehnert), Roxanes Begleiterin Duenna (Friederike Arnold), ein Mönch (Jonas Strickling) und eine Büfettdame (Stefanie Niehaus) reizten mit ihrem Spiel stets dazu, auch einmal an den Hauptcharakteren vorbeizuschauen und Seiten an meinen Schülern zu entdecken, die mir als Lehrer bisher nicht aufgefallen sind. Viele aus dem Ensemble spielten zusätzlich weitere Nebenrollen.
Musikalisch begleitet und authentisch atmosphärisch unterstützt wurde die Aufführung durch die Musik-AG, namentlich durch Henrieke Wempe (Querflöte, Klavier, Nasenflöte), Johannes Rolfes (Gitarre, große Trommel), Anastasia Trofimtschuk (Violine, große Trommel) und Antje Marx (Viola, Sopranblockflöte, Bongos, Marschbecken, Trommel u.a.).
„Wir sind irgendwann an den Punkt gekommen, an dem wir feststellten, dass wir das Stück nicht spielen können, wenn wir es nicht vollständig verstehen“, berichtete Hubert Gelhaus (gemeinsame Regieführung mit Christiane Johannes) mir in einem Gespräch auf dem Weg ins Lehrerzimmer. Gespräche mit weiteren Mitwirkenden über das Stück ließen auf noch viel mehr Krisenmomente während der Genese dieser Aufführung schließen. Immer wieder ging es in diesen Gesprächen um die Suche nach der eigentlichen Thematik dieses Stückes, die offenbar eng mit der Suche nach geeigneten Wegen zum Einstudieren des Werkes verbunden war. Für manch einen scheint die Beschäftigung mit dem Stück sogar zum Initiator für grundlegende persönliche Veränderungsprozesse geworden zu sein. Dabei ist Cyrano de Bergerac doch nur ein Buch, ein Stück vergilbtes Reclampapier, Literatur, die auch in einem Oberstufenkurs Deutsch durchaus ihren dort vielleicht langweiligen Raum haben könnte.
Wenn ein Oberstudiendirektor sich auf einer Abiturfeier absichtlich verspricht und Anne Wigbers als „Cyrano“ aufruft, so verwechselt er in diesem Moment die Begriffe Person und Figur. Denn während der Aufführung standen dort auf der Bühne keine Cyranos, weil das Licht eines jeden aus dem Ensemble strahlte. Mehr noch: Der Originaltext schließt mit Cyranos Tod – die „Engelszene“, die wir Zuschauer als Schluss des Stückes erleben durften, ist Ergebnis eines langen Ringens der Theater-AG um eine Deutung und gleichzeitig ihre Botschaft an das Publikum. Im festen Glauben an ihre Fähigkeiten trauten sie sich, dem Publikums trotz bestimmt vorhandener individueller Makel und Zweifel ihre Interpretation des Stückes darzubieten.
Cyrano konnte genau das nicht. Seine entstellte Nase verhinderte nachhaltig das Vertrauen in sich selbst. Damit geht ihm die Fähigkeit ab, die Grundvoraussetzung für die Liebe ist: Die Annahme seiner selbst. Wie glücklich hätte er seine Roxane machen können, die ihn schon früh durch seine Sprache geliebt hat. Fähigkeiten müssen an das Licht, damit sie anderen leuchten können. Verborgen unter einem Scheffel bringen sie Cyrano und Roxane um ihr Lebensglück.
Mit Interesse habe ich die Darstellung zu Cyrano de Bergerac gelesen. Wir planen als 11. Klasse einer Waldorfschule für geistig behinderte Menschen in Bochum einmal wieder ein Klassenspiel in Klasse 12 als Abschluss der Schulzeit. Gibt es ein „Drehbuch“ zu der o.g. Aufführung, das man einsehen dürfte. Da unsere Schüler nicht besonders sprachgewaltig sind, müsste ich viele Veränderungen und Kürzungen vornehmen, aber ich hätte ein sprachliches Korsett.
Lieben Dank für eine Rückantwort.
Viele sonnige Grüße aus Bochum, Elke Kintrup