Die Sprache klingt so fließend…
In der Tat:
In blauen Duft gehüllt, lag das Kloster unter mir im Tale; der frische Morgenwind rührte sich und trug, die Lüfte durchstreichend, die frommen Gesänge der Brüder zu mir herauf. Unwillkürlich stimmte ich ein. Die Sonne trat in flammender Glut hinter der Stadt hervor, ihr funkelndes Gold erglänzte in den Bäumen, und in freudigem Rauschen fielen die Tautropfen wie glühende Diamanten herab auf tausend bunte Insektlein, die sich schwirrend und sumsend erhoben. Die Vögel erwachten und flatterten, singend und jubilierend und sich in froher Lust liebkosend, durch den Wald! – Ein Zug von Bauerburschen und festlich geschmückter Dirnen kam den Berg herauf. »Gelobt sei Jesus Christus!« riefen sie, bei mir vorüberwandelnd. »In Ewigkeit!« antwortete ich, und es war mir, als trete ein neues Leben voll Lust und Freiheit mit tausend holdseligen Erscheinungen auf mich ein! – Nie war mir so zumute gewesen, ich schien mir selbst ein andrer und, wie von neuerweckter Kraft beseelt und begeistert, schritt ich rasch fort durch den Wald, den Berg herab.
aus: „Die Elixiere des Teufels“ (E.T.A. Hoffmann)
Die Empfindung des Sprachflusses stimmt für mich. Aber woran liegt das eigentlich? Ok, da wären:
- Vergleiche, z.B. „wie glühende Diamanten“
- Metaphern, z.B. „ihr funkelndes Gold“
- Personifikationen, z.B. „der frische Morgenwind […] trug“
- es gibt kaum Substantive ohne Attribut
- es wimmelt von Partizip-I-Formen, z.B. „durchstreichend“, „schwirrend“, „sumsend“
… aber als das mag mehr als Hinweis für einen recht ausschweifenden, aufgeblähten, euphorischen Sprachstil dienen, einer überschwänglichen Wahrnehmung und epochentypischen Idealisierung der Natur.
Es gibt eine Wortart, die nicht vorhanden ist und in sachlichen, durchdachten Texten eine große Rolle spielt: Die Konjunktion. Bis auf das beiordnende „und“ ist nichts vorhanden außer größtenteils asyndetischen Satzanschlüssen. Darin sehe in den „Fluss“ manifestiert.
Wir bringen SuS bei der sprachlichen Analyse sehr oft bei, auf alles Mögliche zu achten. Aber auch das Fehlende, nicht Eingesetzte, nicht Vorhandene kann ein wichtiger Baustein für eine sprachliche Analyse sein. Das erschließt oft aber erst durch einen Paralleltext.
„es gibt kaum Substantive ohne Attribut“ – Den Eindruck hat man tatsächlich, aber ich hab mal gezählt. Und wenn ich mich nicht verzählt habe, gibts 13 Substantive mit und 14 Substantive ohne Attribut (wenn man „Jesus Christus“ als ein Substantiv zählt!?). Trotzdem, immerhin die Hälfte der Substantive kommt mit Attribut daher – ist das eigentlich ein höherer Anteil als „normal“?
Nee, ist es wahrscheinlich nicht. Ich denke da nochmal drüber nach :o)…
Eine Sammlung solcher kleiner Aufgaben – Text und jeweils ein einzelner zu untersuchender Aspekt – wäre schön. Ich kenne die Erscheinung auch, dass man versucht, den Eindruck eines Textes an den sprachlichen Merkmalen zu begründen, und wir verlangen das von unseren Schülern. Da steht dann meist nur „komplizierter Satzbau“, auch wenn das tatsächlich reine Parataxe ist.
Augen haben für das, was nicht da ist: guter Punkt. Die wenigen Konjunktionen (es gibt noch ein paar unterordnende) liegen auch daran, dass im Text nur zwei Nebensätze sind. Sonst alles Hauptsätze, dazu besonders häufig attributive Partizipialkonstruktionen.