Oberschule (NDS)
Niedersachsen ist ein Flächenland und von einigen wenigen Landkreisen (z.B. CLP, EL, VEC) abgesehen voll vom demographischen Wandel erfasst. Gemeinden auf dem Land vermögen ihre Attraktivität gerade für die jungen Familien nur zu steigern, wenn sie dieser Gruppe, die oft für eine gewisse wirtschaftliche Dynamik sorgt, möglichst viele Bedürfnisse erfüllen kann, wozu ganz massiv ein ortsnahes, attraktives Bildungsangebot mit möglichst vielfältigen Abschlüssen gehört. Deswegen verwundert es nicht, dass die Lobby der Kommunen in der letzten Zeit massiv darauf drängt, mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung ihrer Schulstruktur zu erhalten.
Dabei ist das Prinzip der Oberschule herausgekommen, was zur Zeit auch durch den Kultusminister Althusmann massiv beworben wird. Eigentlich ist das nichts Neues: Man integriert die ohnehin oft ausblutenden Hauptschulen in die bestehenden Realschulen oder umgekehrt – das wird auch in anderen Bundesländern so gemacht. So kann auch eine mittelgroße Gemeinde mit wenigen Einwohnern eine Schule direkt am Ort halten. Von einer Förderschullehrerin aus meinem Bekanntenkreis habe ich vernommen, dass auch die bestehenden Förderzentren zum Teil in diese neue Schulform inkludiert werden sollen oder das zumindest angedacht ist.
Gleichzeitig soll auch die Möglichkeit bestehen, dass an einer Oberschule das Abitur erworben werden kann. Über Dinge wie Mindestzügigkeit wird z.Zt. anscheinend erbittert gerungen: Klar möchte jeder Bürgermeister gerne in seiner Gemeinde auch das Abitur anbieten können. Eine Oberschule mit angeschlossener Oberstufe nennt man in anderen Bundesländern auch Gesamtschule – aber diese Bezeichnung ist gerade hier im Norden ideologisch ziemlich verbrannt.
Oberschulen sollen durch den Schulträger eine besondere Ausstattung erhalten, außerdem pädagogisches Personal und auch bei den Klassenfrequenzen ist eine Zahl von 28 als Höchstanzahl angedacht. Inwieweit sich die Profiloberstufe auf Basis der derzeitigen Planung dort sinnvoll realisieren lässt, wird sich zeigen.
Das ist im Idealfall(?) eine immense Bedrohung gerade für kleine Gymnasien in Landkreisen mit dünnerer Besiedelung, weil selbstredend die strukturelle Attraktivität der Oberschule für viele Menschen ein gewichtiges Entscheidungskriterium für die Schulauswahl für ihre Kinder sein dürfte. Deswegen läuft der hiesige Philologenverband typischer Weise reaktiv Sturm gegen diese Reform.
Ich stehe einmal mehr da und frage mich vielleicht komische Dinge:
- Werden die „klischeegutbürgerlichen“ Eltern ihre Kinder auf eine Oberschule schicken, wo die lieben Kleinen mit der gesamten Bandbreite von Gesellschaft in Kontakt kommen? (Wir haben an unserer Schule Kinder, die aus einer Entfernung von 30km jeden Morgen hier privat hingekarrt werden)
- Wenn sie es nicht tun: Werden die Gymnasien dadurch weniger elitär?
- Wenn der Bildungsetat in NDS begrenzt ist und die Oberschule eine spezielle Förderung erhalten sollen – was geschieht dann mit dem Etat für die Gymnasien?
- Mit Blick auf die Profiloberstufe: Welche Profile können in einer Dreizügigkeit überhaupt neben dem sprachlichen und naturwissenschaftlichen Profil auf einer Oberschule noch angeboten werden? Wird die inhaltliche Vielfalt von Bildungsabschlüssen mit der Oberschule in der jetzigen Form gewahrt?
- Wird die Oberschule Studierberechtigungen oder Studierbefähigungen verteilen? Diese Frage ist schon beim Gymnasium zunehmend zu stellen…
- Warum – verdammt nochmal – reden ausnahmslos alle wieder einmal von Strukturen und nicht von Inhalten?
Ich bin zu doof. Ich würde gerne eine Oberschule (vielleicht vierzügig) in geeigneten Gemeinden als Modell fahren und Erfahrungen sammeln. Diese Erfahrungen würde ich dann in eine generelle Schulstrukturreform einfließen lassen. Ja, dass würde acht Jahre dauern, bis es da Ergebnisse gibt. Über die flächendeckende Gesamtschule reden wir ja schon seit Jahrzehnten – kommt es da wirklich noch auf acht Jahre an? (bis heute habe ich noch keine Untersuchung entdeckt, die die Leistungen von Gesamtschülern mit den Leistungen der SuS eines ortsansässigen Gymnasiums vergleicht) Was ist, wenn die Rechnung nicht aufgeht? Dann machen wir eine Reform oder was?
Mir ist es persönlich egal, an was für einer Schulform ich unterrichte, wenn das Boot nur gut ausgestattet und nicht überladen ist, sodass ich meinem Auftrag auch gerecht werden kann. Eine Begabtenförderung in der Breite ist zur Zeit sowieso so gut wie nicht existent – die Gymnasien können dieser Aufgabe im bestehenden strukturellen Umfeld immer weniger gerecht werden. Ich halte sie aber immer noch für die Schulform, die trotz aller unbestreitbaren Defizite den Begabten noch am ehesten gerecht wird und ebendiese Haltung ist doch nahezu grotesk.
Dagegen/daneben kann man nicht einfach die Struktur „Oberschule“ setzen. Man muss die Struktur „Oberschule“ so attraktiv machen, dass das Gymnasium sich entweder auf den Arsch setzt oder verschwindet. Und man muss dabei fair sein und beiden Schulformen die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten geben, damit eine fruchtbare Konkurrenz entsteht. Geld- und Personalmittel einfach umzuverteilen gilt nicht. Monokultur hat auch noch nie funktioniert.
Lehrerverbände ringen mir oft viel zu sehr um Strukturen und bestehende Pfründe – inhaltlich lese ich da selten etwas. Weniger Lobbyismus und mehr aktive politische Gestaltung wäre bestimmt nicht schlecht. Dafür braucht es natürlich auch Lehrer, die sich in Verbänden engagieren. Ich selbst bin leider schon politisch aktiv…
Uns Web2.0er erlebe ich oft so, dass viele tolle Ideen und Beispiele für inhaltliche Veränderungen kommen. Dummerweise besitzen wir in der Außenwirkung nicht einmal nennenswerte ideelle Macht und da es bei uns nach meiner Wahrnehmung gelegentlich „en vogue“ ist, über die Organe der bestehenden repräsentativen Demokratie zu schimpfen und sich davon abzugrenzen, kommen wir auch nicht zeitnah zu institutioneller Macht, die für jede Art von „shift“ ganz nützlich wäre. Dabei ist das inhaltliche Vakuum in den politischen Parteien, wenn es im Schulreformen geht, doch geradezu evident.