Funktionalistische Didaktik
Diesen Begriff gibt es nicht. Ich habe ihn erfunden – allerdings nicht alleine. Ich möchte ihn wie folgt verstanden wissen: Die funktionalistische Didaktik umfasst alle inhaltlichen Strategien, um in der Wirtschaft erfolgreiche Prozesse auf pädagogische Systeme abzubilden.
Wirtschaft wiederum bedient sich gerne an mir durch die Zeit lieb gewordenen Theorien, etwa der humanistischen Psychologie. Wenn Persönlichkeitsstärkung mit Methoden der humanistischen Psychologie bzw. Pädagogik mit dem ZIel der Profitmaximierung betrieben wird, ist das in meinen Augen Funktionalismus, d.h. man nutzt z.B. in diesem Fall eine Theorie der Freiheit, um Angestellte und sogar Kunden an eine Firma zu binden – eigentlich ein unauflöslicher Widerspruch. Gerechtfertigt wird das damit, dass dadurch die Teamfähigkeit und Produktivität gesteigert wird – schwieriges Thema.
Auf Schule bezogen entwickeln Anhänger des Funktionalismus momentan folgende Vision, die ich ich in Anlehnung zur Rhetorik der Fernsehwerbung einmal mehr unkonventionell darstellen möchte:
- Stellen wir uns vor, dass Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam Unterrichtseinheiten entwerfen.
- Stellen wir uns vor, dass jede Schülerin und jeder Schüler nach mit den gleichen Inhalten und Methoden unterrichtet wird
- Stellen wir uns vor, dass Lehrerinnen und Lehrer ihre Einheiten ständig reflektieren und überarbeiten
- Stellen wir uns eine Schule vor, in der eine gehobene Feedbackkultur herrscht, die Lehrer, Schüler und Eltern umfasst
- Stellen wir uns eine Schule vor, die durch fortwährende Selbstevaluation sich selbst verbessert und ständig neu positioniert
- Stellen wir uns Lehrer, Schüler und Eltern vor, die Strategien der Selbstevaluation anwenden (z.B. die Portfolioarbeit).
- Stellen wir uns eine Schule 2.0 vor
Ich finde diese Vision faszinierend. Diese Schule ermöglicht Chancengleichheit, da kein Lehrer und keine Lehrerin wie bis jetzt 100% frei in der Ausgestaltung ihres Unterrichts ist, da jeder Schüler mit den gleichen Inhalten und Methoden lernt, da jeder Schüler Verantwortung für den eigenen Lernprozess und die Schulgemeinschaft übernimmt.
Innerhalb der humanistischen Pädagogik gibt es eine Voraussetzung für derartig partnerschaftlich funktionierende Systeme: Gegenseitige Achtung und gleiche Augenhöhe. In einem hierarchischen Wirtschaftbetrieb? In einer hierarchischen Schule, die auch in Zukunft in irgendeiner Form Weichen im Lebensweg eines jungen Menschen stellen werden muss?
Die Denkrichtung ist für mich in Ordnung, entbehrt aber jedweder Ganzheitlichkeit. Wer so tut, als sei Unterricht allein Didaktik und Methodik, schaut nicht wahrhaftig und ernst auf sein eigenes Leben: Wann habe ich viel gelernt? Bei wem habe ich viel gelernt? Warum habe ich bei dem einen mehr und bei dem anderen weniger gelernt?
Für Unterricht braucht es Menschen, Menschen die bereit sind, sich ihrer selbst zu stellen. Schule ist ein weitgehend supervisionsfreier Raum – einerseits, weil es Geld kostet und andererseits, weil viele Lehrerinnen und Lehrer die Konfrontation mit sich nicht eingehen mögen – schwierig in diesem zutiefst pädagogischen Kontext. Dabei sind sie es, die dem Unterricht eine Atmosphäre geben, die kein Lernprogramm dieser Welt je zu schaffen vermag. Sie sind es, die Werte – welche auch immer – transportieren.
Die Konzentration auf Methodik und Didaktik hat den Grund, dass man das letztgenannte Problem nicht angehen möchte, weil es das schwierigste ist. Schizophrenerweise stellt sich die funktionalistische Didaktik oft als „outputorientiert“ dar, was wirtschaftlich folgendes bedeutet: Wie erreiche ich mit minimalen Ressourcen maximalen Gewinn? Bei Banken klappt das momentan irgendwie suboptimal. Warum sollte es bei Schulen mit einem von den Banken abgeschauten System klappen?
Die Schizophrenie geht sogar noch weiter: Gleiche Unterrichtskonzepte für alle meint doch nichts anderes als den gleichen Input, der funktional betrachtet den gleichen, bzw. höherwertigen Output erzeugen soll. Mir dreht sich gerade angesichts der ganzen angerissenen Gedankenfetzen der Kopf – dabei habe ich noch nicht einmal auf die völlig unterschiedlichen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler im Bereich der Sozialkompetenz verwiesen.
Ging Goethe bei seinem Götz wohl auch nicht anders. Tröstlich.