Reflexartig schroff
I mention this because so many discussions of the effects of new information technologies take the status quo as self-evidently good and bemoan how intellectual standards are being corroded (the ‘google-makes-us-stoopid’ mindset). They fall into the tradition of other technologically driven moral panics of the past two centuries, like the fears that the telephone, the telegraph, the typewriter, the postcard, radio, and so on, would spell the end of civilized society.
Steven, Pinker – us-amerikanischer Populärpsychologe über Menschen, die das Internet (Facebook & Co. kritisieren) via Philippe Wampfler.
Reflexartig schroff empfinde ich Reaktionen aus der Web 2.0‑Gemeinde, die Kritiker am „System Internet“ sofort kompromisslos in die Schranken weisen. Ist alles eine irrationale Angst vor der neuen Technologie wie es sie schon immer gab bei der Einführung neuer Medien wie dem Telefon, dem Fernsehen, dem Radio? Ebenso reflexartig folgt so oft der Ruf: „Wer es kritisiert, der versteht es nicht!“.
Es ist also so einfach. Die Kritiker verstehen nicht. Sie wollen oder können gar nicht verstehen. Internetausdrucker. Analoge. Basisdemokratieverhinderer.
Ich bin froh, dass der Großteil der Web2.0‑Gemeinde nutzt. Ich bin froh, dass sie kommuniziert, publiziert, sich auch mit mir vernetzt, Zeit effektiv nutzt, mobil arbeitet – davon profitiere ich, dass bereichert als Werkzeug mein Leben, ich teile mein Wissen und vermehre es dadurch. Ich bin absolut fasziniert von Flashmobs, von der immensen Kreativität des Netzes, die mich auch kulturell anspricht.
Ich bezweifle, dass wir verstehen, was wir benutzen, um zu publizieren, zu kommunizieren, uns zu vernetzen. Wir schauen auf Oberflächen. Die müssen ansprechend sein und uns viel bieten. Wir können schließlich nicht alles wissen, das wäre zu viel verlangt. Wer es bezahlt, braucht uns nicht zu kümmern. Es ist ja da. Es ist cool.
Was wäre eigentlich, wenn Facebook, Twitter, Google usw. morgen beschlössen, dass sie uns ihre Dienstleitungen nicht mehr kostenlos anbieten? Ganz bestimmt fänden sich dann viele aus der Web2.0‑Gemeinde, die mit ihrem Wissen Server aufsetzen, programmieren und eigene, basisdemokratische Strukturen schaffen und diese natürlich auch selbst finanzieren.
Keine Sorge, das wird nicht geschehen. Denn Menschen, die technisch abhängig sind, waren schon immer viel zu wertvoll für die Mächtigen, wie uns die Geschichte lehrt.
Und die meisten, die ich kenne, die wirklich etwas über die Hintergründe wissen, die haben es nicht so mit bunten Oberflächen. Und die verlangen von mir eine Menge Wissen, damit ich überhaupt gehört werde. Die sind aber auch nicht technisch abhängig. Die sind frei. Zwei Scheren gehen auf: Die zwischen den Digital-Natives und den Analogen sowie die zwischen den reinen Benutzern und den Oberflächenarchitekten. Hoffentlich streiken letztere nicht oder entdecken ihre Macht. Der Mensch ist von Natur aus gut.
Weil das Internet keine Einbahnstraße ist, weil Informationen von uns ins Netz und vom Netz zu uns fließen, handelt es sich meiner Meinung nach nicht um ein „Radio“, ein „Telefon“ oder einen „Fernseher“. Es ist etwas komplett anderes. Daher dürfen die Ängste von mir aus auch gerne andere sein.
Auf die Frage eines Bergsteigerteams, dass sich Tibetaner als Träger angeheuert hatte, warum sie beim Aufstieg so oft Pausen machen würden, antworteten diese:
„Wir warten darauf, dass unsere Seelen nachkommen“
Gut, dass wir solch einen Esoteroquatsch heute nicht mehr brauchen und auch niemandem zugestehen müssen, weil wir ihn nicht brauchen. Er hat ja seit der Aufklärung ausgedient. Die Spitze der Maslowschen Pyramide ist nicht mehr. Maslow ist nicht mehr.
Gerne gelesen. Das mit der Selbstverwirklichung und dem Warten auf die Seelen ist mir aber nicht klar. Ein Tipp für Einsteiger?
Tja. Die Geschichte ist von einem Kollegen geklaut, der mich morgens hin und wieder hastig strampelnd auf dem Fahrrad überholt. Vielleicht ist das eben nur eine Geschichte…
Es tut gut zu lesen, dass es auch andere gibt, die das Social Web kritisch sehen. Ich fand auch Deinen mit dem Thema verwandten Beitrag in der Maschendraht-Community zum Thema „Wissen und Entropie“ [1] sehr interessant. Ich finde es mutig, dass Du zugibst überfordert zu sein – dem kann ich mich nur anschließen. Letztlich macht mir das klar, dass ich das Netz bisher hauptsächlich als Medium und nicht als Kulturraum gesehen und genutzt habe, weil ich die Zeit, die ein „Leben“ im Netz kosten würde, nicht herzugeben bereit war. Oder ich besitze nicht die Medienkompetenz, die nötig ist, mit Offline- und Online-Leben so zu jonglieren, dass keines abstürzt. Aber vielleicht saugen Digital Natives die automatisch quasi mit der Muttermilch auf?! Ich bin sehr zwiegespalten …
[1] http://maschendraht.mixxt.de/networks/forum/thread.10981