Bildung im Gleichschritt vs. Kompetenzmodell
Über die Richtung im Bildungssystem bin ich immer verwirrter. Auf einer Fortbildung zum neuen Kerncurriculum Deutsch habe ich gehört, dass eine stärkere Zusammenarbeit zwischen LuL – aus meinetwegen einer Fachschaft – gewünscht wird. Man entwickelt z.B. gemeinsam Einheiten miteinander und probiert diese dann im „Gleichschritt“, aber mit individueller Lehrendenpersönlichkeit aus. Danach erfolgt eine Evaluation und eine Überarbeitung der Einheit, sodass ein evolutionärer Prozess der Verbesserung eintritt, alle SuS die gleichen Chancen haben und LuL von Unterrichtsvorbereitungen entlastet sind.
Ich finde den Grundgedanken nicht falsch, aber das ist natürlich Bildung im Gleichschritt, wobei ich immer gerne Vielfalt mag. Die praktischen Probleme – man braucht z.B. Arbeitsmittel, Räume und Zeit – lasse ich hier unerwähnt – das ist eine reine Geld- und Willenssache in der Politik.
Ich zweifle entschieden an, dass bei dieser Methode wirklich identische Kompetenzen bei SuS aktiviert und ausgebaut werden, die man ja gerne bei den hochwissenschaftlich entwickelten Vergleichsarbeiten in Englisch und Deutsch abprüfen möchte. Ich zweifle das vor allem an, weil ich Kompetenzen für sehr individuelle Ausprägungen halte. Auf Basis dieser Annahme erreiche ich durch Vielfalt wahrscheinlich mehr als durch Uniformität, auch gerade deswegen, weil die häuslichen Voraussetzungen von SuS immens unterschiedlich sind.
Der Gipfel des Widerspruches zum Kompetenzmodell sind für mich die inhaltlichen Schwerpunkte, die teilweise in der Qualifikationsphase vorgegeben sind. Meine SuS fordern nämlich gerade vehement das hier ein:
… und das ist legitim, denn ohne gute Abiturnote gibt es keinen Wunschstudienplatz. Die SuS finden es natürlich auch gut, dass ich noch andere Inhalte darüber hinaus behandle (gelegentlich ist mein Spaß ihr Spaß), aber auf jeden Fall auch „train to the test“. „Beides, Herr Riecken!“, lautet die Divise. Ja was denn nun? Ich habe im diesjährigem Abitur im Unterricht von einem Aufgabenvorschlag mindestens drei Aufgaben „vorhergesehen“ und behandelt – fast durchweg zweistellige Ergebnisse bei diesem Aufgabenvorschlag. Das war „train to the test“, das war gut für mich und mein Ego, aber war es guter Unterricht im Sinne des Kompetenzmodells? Es war eher Bildung im Gleichschritt, denn sie brauchten lediglich mit anderen Zahlen das formal abzuspulen, was wir in genau der Schrittfolge schon durchgetanzt hatten. Doofes Dilemma.
Was ist die Lösung? Ich finde, dass wir mehr auf die Menschen schauen müssen, die unterrichten. und die unterrichtet werden. Wir müssen uns ihre Menschenbilder und ihre Weltsicht anschauen.
„Ein Kind, dessen Eltern sich wahrhaftig lieben, wird in seinem Leben nicht anderes als Liebe empfinden“.
Was ist mit Kindern, die nach DIN zertifiziert uniform als Kunde in der Schule und später als Erwachsene in der Uni abgefertigt werden? Was werden die empfinden? Wir brauchen mehr pädagogischen Eros, mehr Selbstbewusstsein, mehr Raum zum Experimentieren, mehr Raum für Erfahrungen. (Freiwillige) Supervision wäre ein Anfang, der Steine ins Rollen bringen kann.