Handyverbote und die Psychologie der Ohnmacht
Es mehren sich in meinem Umfeld Berichte über neue Sextingfälle – auch in anderen Landkreisen. Die Netzgemeinde geht nach einiger Aufregung rund um Sascha Lobos Netzuntergangsapologien mehr oder minder achselzuckend zum Alltag über, ein paar geisteswissenschaftliche Rückzugsgefechtler reagieren auf ihre Weise darauf. Stellenweise findet eine Diskussion statt, die aber inhaltlich nur „Eingeweihten“ zugänglich sein dürfte. Es sind gute Zeiten für die Warner, Mahner und Kritiker „des Internets“.
Das Einfachste für Schulen und Eltern scheint momentan zu sein, einfach zu verbieten: Schwierige, aber gleichwohl sehr chancenreiche Zeiten für die Medienpädagogik. Ich werde zurzeit vermehrt angefragt, Vorträge zum Thema Handy und Internet zu halten. Man möchte Rezepte haben, wie man sich als Schule oder Elternteil „verhalten“ kann, wenn „so etwas“ passiert.
Rechtliche Aspekte
Die Schule darf nach meinen Recherchen in der Hausordnung ein Benutzungsverbot von Handys auf dem Schulgelände festlegen. Schülerinnen und Schüler, die dagegen verstoßen, halten demnach nicht die Schulordnung ein, was die wiederum Schule dazu nutzen kann, die übliche Eskalationskette bei Fehlverhalten in Gang zu setzen: Pädagogische Maßnahmen => Androhung von Ordnungsmaßnahmen => Vollzug von Ordnungsmaßnahmen.
Bei den letzten beiden Stufen entscheidet bei uns in Niedersachsen die Klassenkonferenz, bei der Schulleiter bzw. die Schulleitern den Vorsitz führt. Gerne wird vergessen, Schülerinnen und Schüler im Zuge einer Klassenkonferenz sowie die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten in angemessener Form über ihre Rechte zu belehren, was eine formale Angriffsfläche für Entscheidungen der Klassenkonferenz bietet. Prozesse gegen Schulen werden übrigens meist nur auf formaler Ebene gewonnen.
Die Wegnahme des Handys muss verhältnismäßig und pädagogisch sinnvoll sein. Wenn z.B. Unterricht gestört wird oder Filmaufnahmen gegen den Willen der Gefilmten gefertigt werden, sollte diese Verhältnismäßigkeit m.E. gegeben sein. Da es sich im rechtlichen Sinne oft um Eigentum der Eltern handelt (sie allein dürfen Dauerschuldverhältnisse wie Handyverträge unterschreiben), ist eine Wegnahme über den Unterrichtstag hinaus rechtlich wahrscheinlich ein Problem, zumal ja in erheblicher Weise in den Freizeitbereich der Schülerinnen und Schüler eingegriffen wird – in Absprache mit den Erziehungsberechtigten dürfte der Fall anders aussehen.
Weigert sich eine Schülerin oder ein Schüler in der konkreten Situation, ihr Handy abzugeben, darf das natürlich nicht gewaltsam geschehen. Wenn eine Straftat oder ein begründeter Verdacht für eine solche vorliegt, wäre das dann Sache der Polizei. Wenn nicht, d.h. wenn einfach „nur“ gegen die Schulordnung verstoßen wurde, kommt jetzt ja noch hinzu, dass Anweisungen nicht befolgt werden – dann wird man als Schule schneller eskalieren können (Klassenkonferenz) oder den betreffenden Schüler bzw. die Schülerin eben für den Tag suspendieren.
Gleichwohl würde ich darauf achten, dass das Handy vor der Abgabe im Beisein der Besitzerin bzw. des Besitzers ausgeschaltet wird.
Problematik an den Schulen
Mit sind nur wenige Mobbingfälle bekannt, die nicht in irgendeiner Form auch über das Internet ausgetragen werden. Im Gegensatz zu „früher“ (Mobbing gibt es ja immer schon, übrigens auch am Arbeitsplatz von Verwachsenen) verschärft die öffentliche Dimension diese Problematik erheblich für die Betroffenen. Je nach Schulform und Milieu kommen Herausforderungen hinzu, mit denen ich als Gymnasiallehrer noch nie irgendetwas zu tun hatte. Spätestens in Umfeldern, in denen es Eltern und Schülern völlig egal ist, ob sie ggf. sogar von der Schule suspendiert werden, gehen Lehrkräften schnell und schlicht die Optionen aus. Und diese Umfelder gibt es. Und deswegen ist Schule da eigentlich ganz besonders gefragt.
Dummerweise ist Schule noch in ganz vielen anderen Feldern gefragt, sodass das Thema „Medien“ eben eines von vielen ist. Wenn man da etwas „schieben“ kann, dann versucht man das auch – nicht weil man böse, ahnungslos, lernresistent und der Zukunft sowie Realität abgewandt ist, sondern weil man sich selbst schützen und schlicht funktionsfähig bleiben möchte. Wenn man z.B. Inklusionskinder in der Klasse bei optimierbarer Unterstützung von außen hat, sind die Sorgen erstmal andere, ganz alltägliche. Gerade im Bereich Inklusion leben gerade viele Gymnasien noch im behüteten Traumland. An so mancher Schule mag schlicht Ohnmacht herrschen: Man versteht nicht, was da in diesem „Netz“ vor sich geht. Am besten wäre, wenn es einfach verschwände – aber das tut es eben nicht.
Was tun?
Es gibt an vielen Schulen bereits in irgendeiner Form soziale Projekte oder Angebote, bei denen die Stärkung der eigenen Persönlichkeit im Vordergrund steht. Genau da sehe ich den Kern des Problems beim „Handymissbrauch“. Dass man keine Nacktbilder weiterleitet, ist nicht unbedingt eine technologische Herausforderung. Hier gibt es oft in einer bestehenden Struktur klare Ansatzpunke, um Medienkompetenz zu vermitteln, ohne dass sich Akteure auf für sie völlig neue Handlungsfelder begeben müssen oder diese Struktur infrage gestellt wird.
Wenn ich Schülerinnen und Schülern keine Modelle anbiete, wie ein Handy noch genutzt werden kann außer zu kommunikativ-konsumptiven Zwecken, halte ich die Erwartung, dass mit diesen Geräten nicht auch Unsinn geschieht, für utopisch. Schülerinnen und Schüler sind entgegen aller oft zu vernehmenden Unkenrufe nach meiner Erfahrung nur sehr oberflächlich kompetenter im Umgang mit digitalen Geräten. Sie finden sich auf der Oberfläche schnell zurecht, sind mutig und experimentieren – aber z.B. schon ein simples Abonnement eines Kalenders ist oft schon ein unüberwindliche Hürde. Die Strukturen hinter Touchibunti durchschauen nur sehr wenige. Wie zu guten alten Windowszeiten regiert da oft Pass&Fail.
Die Erwartung, dass sich eine ganze Schule voller Verantwortungsbewusstsein und Begeisterung auf BYOD stürzt, ist nicht realistisch. BYOD stellt Strukturen sehr massiv infrage – auch technische Strukturen … Unterricht, der schülerseitig mit Google oder Wikipedia bestreitbar ist, kann nämlich im digitalen Zeitalter bald nicht mehr bestehen. Das merken die Kollegien sehr schmerzlich. Man nimmt ihnen ihr gewohntes Handwerkszeug weg und wundert sich über die ablehnenden Reaktionen.
Analogie: Man muss in gewissen Kreisen im Netz nur etwas gegen das iPad sagen (also ein Handwerkszeug „bedrohen“), um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie die Reaktionen ausfallen, wenn ich Kollegien sage, dass ihre Form des Unterrichts so nicht mehr zeitgemäß ist. Man darf und sollte da Widerstand erwarten, wobei Widerstand immer ein super Ansatzpunkt ist – viel schlimmer sind Lethargie und Resignation.
Von Chancen und Arbeitserleichterungen
Je weniger ich mit der Unterstützung der Elternhäuser rechnen kann, desto mehr ist nach meiner Ansicht Schule gefordert. Handynutzung ist Privatsache, jedoch beschert uns diese Privatsache in der Schule viele sehr arbeitsreiche Herausforderungen, denen der begleitete Einsatz digitaler Geräte begegnen kann. Im Unterricht ermöglichen digitale Geräte an vielen Punkten Effizienzsteigerungen: Gruppenarbeiten können „on the fly“ dokumentiert werden – es entfällt die Zeit, um etwa ein Plakat zu gestalten. Jeder aus der Gruppe kann sich zudem durch ein digitales Gerät in den Prozess einbringen. Ich habe ganze Aufsätze arbeitsteilig innerhalb von 45 Minuten schreiben lassen – durch kollaborative Methoden – auf Papier in diesem Zeitrahmen undenkbar. Auch die Auswertung wird oft um ein Vielfaches leichter: Ich kann ja direkt im Dokument korrigieren, sodass allen SuS diese Fassung sofort zur Verfügung steht (dazu braucht man natürlich gemeinsame, geräteunabhängige Plattformen).
Das überzeugt dann auch skeptische Kollegen. Der Schlüssel ist dabei nach meiner Erfahrung vor allem die inhaltliche Kopplung. Daher kann ich z.B. Fremdsprachenlehrern in diesem Bereich nichts, aber auch gar nichts beibringen.
… oh doch, das kannst du. Mir nämlich. Mit welchen Tools arbeitest du denn im Unterricht? Bei der Handynutzung stimme ich dir voll zu. Bei uns sind digitale Medien per se auf dem gesamten Schulgrund verboten. Versteh ich ja auch aus gewissen Gründen. Es lässt sich schon theoretisch viel Schindluder mit den Dingern treiben (so wie auch mit Papier, Lineal oder Tinte by the way). Aber einem Schüler einen Kindle wegnehmen, wenn er sich in der Pause zum Lesen irgendwo hingesetzt hat? Völlig überzogen. Noch dazu, wo ich im Unterricht selber so viel mit Tablet hantiere.
Die Frage nach den Tools ist eine technische und damit für mich immer irreführend. Jetzt haben wir einen glänzenden, ästhetischen und verlässlichen Hammer und jetzt suchen wir mal krampfhaft den Nagel, der sich damit in die Wand schlagen lässt …
Unter gewissen Voraussetzungen (d.h. in bestimmten inhaltlichen Kontexten) kann z.B. Etherpad ein geeignetes Werkzeug sein: Die Voraussetzung wäre für mich, dass der Inhalt, den es zu bearbeiten gilt, hinreichend vorentlastet ist, damit die Methodik im Vordergrund stehen kann – wenn zusammen geschrieben wird, ist ja das Ziel, einen Text zu schaffen, dem man nicht mehr ansieht, dass er von vier Menschen gleichzeitig verfasst wurde. Wenn ich erst noch klären muss, was z.B. in der Einleitung zu stehen hat und wann im Schreibprozess ich diese verfasse, scheitert das Tool oder es kommt eben recht unbefriedigender Mist heraus.
Tooleinsatz ist auch da sinnvoll, wo die Aufgabe von einer Person allein nicht in sinnvoller Zeit bearbetet werden kann, z.B. hier bei der Erstellung von Wortlisten, wenn man mangels brauchbarer Regeln wieder auf das Lexikon zurückfällt.
Meine Meinung: Wer z.B. BYOD (Tablets, Whiteboards etc.) fordert, muss liefern in Form von entweder qualitativ hochwertigerem Output oder methodischer Effizienz. Sonst bekommt es schnell den Touch von „Hobby im Beruf ausleben“.
Erstmal danke für den schönen Beitrag.
Verböte wirken eist hilflos. Die Mobbing-Probleme lassen sich auch nicht dadurch abstellen, dass man Handys verbietet; die schon vorhandenen Probleme verbreiten sich nur eben auch über die Smartphones (und ich habe da mittlerweile lebhafte Erfahrungen sammeln dürfen). Da hilft nur gemeinsame Arbeit an den Ursachen. Wir kassieren ja auch nicht alle Collegeblöcke, wenn Zettelchen durch die Klasse gereicht werden. Und dass irgendwer Unsinn macht, können wir leider nie verhindern, die Präventivprojekte sind da ja auch kein Allheilmittel (vielleicht oft eher ein Feigenblatt).
BYOD scheint mir aktuell der sinnvollste Ansatz zu sein, allerdings ist es schon keine große Freude, diesen Kommentar auf dem Handy zu tippen, umso weniger erquickend stelle ich mir es vor, eine handfeste Analyse zu verfassen. Auf dem Pad gerne, aber auf dem Handy… brrr. Da bräuchte man m. E. irgendeinen Mindeststandard, der unbrauchbare Geräte ausschließt.
*Verbote
(q.e.d. – wäre mir am Rechner nicht passiert)
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