Akt der Notwehr – Reaktionen auf die Arbeitszeiterhöhungen
Schulen in Hannover streichen die Klassenfahrten, um einen Ausgleich für die anstehende Mehrarbeit zu schaffen (vgl. Artikel hier im Blog). Der Philologenverband Niedersachsen arbeitet dezidiert und sachorientiert mit Mythen zur Lehrerarbeitszeit auf. Das Kultusministerium legt seine Pläne zur besseren Ausstattung von Bildungsinstitutionen offen. Die finanzielle Realisierung dieser Pläne wird einerseits durch Erhöhung der Mittel für Bildung durch die Politik geleistet, andererseits durch Maßnahmen wie die Arbeitszeiterhöhung und Streichung der Altersregelungen aus dem System selbst „gewonnen“.
Ich denke nicht, dass irgendeine Hoffnung besteht, dass die Politik die bereits beschlossenen und zur Finanzierung anderer Projekte genutzten Veränderungen zurücknehmen wird. Ich denke auch nicht, dass eine direkte, sachorientierte Reaktion auf diese Maßnahmen erfolgreich sein wird.
Dennoch macht man sich in vielen Gymnasien in Niedersachsen Gedanken, wie man mit diesen Arbeitszeiterhöhungen umgeht. Beamte sind alimentiert. Rein logisch könnte man tatsächlich an Stellen Arbeitszeit reduzieren, die nicht zwingend durch die Aufgabenbeschreibung einer Lehrkraft abgedeckt sind.
Das sind z.B. Klassenfahrten, Exkursionen, AGs, soziale Angebote wie Streitschlichter, Konzerte, Sport- und Schulfeste, Internetauftritte und ja, auch meine Art der Schulnetzwerkadministration gehört dazu – ich soll das Netzwerk koordinieren und weiterentwickeln – für das Handanlegen werde ich eigentlich nicht bezahlt, eher für die Auftragserteilung an Fachfirmen.
Der Dienstherr wird dieses Dilemma wahrscheinlich erkennen, da es die einzige Achillesferse in seiner öffentlichen Darstellung ist. Der Dienstherr wird nach meinen Schätzungen die Korrekturbelastungen an Gymnasien an diejenige anderer Bundesländer angleichen, d.h. zumindest die Anzahl der zu schreibenden Arbeiten in der Mittelstufe reduzieren. Damit wäre dann tatsächlich ein spürbarer Ausgleich geschaffen und ein wesentliches Argument der „Widerständler“ ausgehebelt.
Wenn es einen solchen „Deal“ nach einer öffentlichen Debatte geben wird: Ist Bildung am Gymnasium dadurch dann nachhaltig verbessert worden? Wie sieht mit dem Bildungssystem in Niedersachsen dann insgesamt aus? Macht es Fortschritte?
Wenn es so kommt – was soll ein Gymnasium als Reaktion beschließen?
Auch wenn es gebetsmühlenartig z.B. von Verbänden behauptet wird: Dass der Beruf des Lehrers in der Öffentlichkeit an Ansehen gewinnt, sehe ich allenfalls in Umfragen. Witzigerweise fordern gerade Verbände ihre Mitglieder dazu auf, an Umfragen teilzunehmen – statistisch schon eine relevante Störgröße. Viele der üblichen Stereotype bestehen in meinem Umfeld weiterhin.
Ich sehe eine Gefahr darin, diese Stereotype durch irgendwelche Aktionen zu bestätigen – das wird z.B. der Fall sein, wenn man Klassenfahrten streicht oder die Streichung androht – bei bereits geplanten Aktionen tritt zusätzlich das Problem auf, wie man mit Vorleistungen (Buchungen, Anzahlungen etc.) sauber umgeht. Schulen aus meinem Umkreis versuchen dem zu begegnen, indem sie Dienst nach Vorschrift androhen – wird diese Drohung dann auch tatsächlich Realität? Wenn sie Realität wird – wie lange bleibt sie das dann auch? Es soll z.B. ja auch Lehrkräfte mit Familie geben, die aus einer anderen Position heraus Interesse an einem lebendigen Schulleben haben.
Die Gefahr besteht für mich darin, dass wir die Solidarität und Unterstützung derjenigen dadurch verlieren, die wir für eine politische Auseinandersetzung dringend benötigen. Die kurz- und mittelfristige Aktivierung durch solche Aktionen mag allerdings klappen.
Ich vertrete die Theorie, dass Schule in der Öffentlichkeit als sehr wenig transparent wahrgenommen wird. Und ich nehme war, dass Eltern und Schülerinnen sowie Schüler mit recht geringer institutioneller Macht an Schulen ausgestattet sind – der Schulvorstand hier in Niedersachsen böte allerdings eine Gelegenheit zu starker Partizipation, setzt aber ein politisches Bewusstsein der Akteure voraus.
Die einzige Chance zu wirklichen Reformen bietet entweder der schon oft prognostizierte Breakdown des Bildungssystems (der Patient ist aber zäh) oder die gezielte politische Aktivierung von Eltern sowie Schülerinnen und Schülern – sie sind schließlich nicht treuepflichtig oder an Dienstwege gebunden.
Die Arbeitszeiterhöhung für Gymnasiallehrkräfte ist m.E. eine der geringfügigeren Herausforderungen im Bildungssystem, sondern steht eher im Zeichen der sich nach meiner Wahrnehmung in vielen sozialen Kontexten ausbreitenden Haltung: „Mehr Qualität durch weniger Personal und mehr Evaluation“ – man möge z.B. einmal mit Altenpflegern, Krankenschwestern, Kinderbetreuungseinrichtungen oder sogar der Polizei sprechen.
Idee
Jeden Tag lädt eine Schule eine Woche lang zehn Externe ein, eine Lehrkraft einen Tag bei ihrer Arbeit zu begleiten. Bedingungen: Der Externe setzt sich, wenn sich die Lehrkraft setzt. Der Externe trinkt einen Kaffee, wenn die Lehrkraft einen Kaffee trinkt. Der Externe schreibt ein paar Zeilen zu seinen Eindrücken. Sowas muss natürlich in der Presse angekündigt werden. Und es sollten möglichst viele Schulen unterschiedlicher Schulformen in einer Region daran teilnehmen.
Was soll das bringen?
- Es vermittelt der Öffentlichkeit einen Eindruck von der Arbeit an einer Schule
- Es richtet den Blick darauf, dass nicht nur Gymnasien vor Herausforderungen stehen, sondern auch andere Schulformen
- Es setzt ein Zeichen, dass schulübergreifende Zusammenarbeit und schulübergreifende Wahrnehmung möglich ist
- Es hilft ggf. dabei, Stereotype in einen erfahrbaren Kontext zu stellen
- Es schafft mehr Transparenz über die Abläufe und tatsächlichen Belastungen an einer Schule
- Es bietet unsicheren Kolleginnen und Kollegen einen gewissen Schutz – es muss sich ja niemand „outen“
Ich glaube nicht, dass wir als Beamte in nennenswertem Umfang allein das notwendige politische Gewicht bekommen können, welches dringend notwendig wäre. Daher kann die Öffnung des Systems nach außen – mit allen vermeintlichen „Gefahren“ – m.E. schon etwas bewirken.
Der Worst-Case wäre für mich folgender: Die Gymnasien beschließen alleine, Arbeitszeit durch Streichung außerunterrichtlicher Aktivitäten zu reduzieren (in denen oft viel mehr gelernt wird als im Unterricht!). Dann kommt der Dienstherr und reduziert seinerseits z.B. die Korrekturbelastung. Was dann? Alles zurücknehmen? Man hat ja schließlich nur angedroht – und Dinge wie die Inklusion kommen am Gymnasium irgendwann auch noch an – neue Runde, neues Spiel?
Am 9. Dezember findet die entscheidende Sitzung im Landtag statt. Man darf gespannt sein.
Und nu? Ich sehe keine andere Möglichkeit, als über die Eltern Druck zu machen. Klar, lieber mit den Eltern als durch sie. Aber das sehe ich nicht kommen. Ich bin ohnehin kein Freund von Fahrten, so wie sie real stattfinden. Dass da „oft viel mehr gelernt wird als im Unterricht“ bezweifle ich mindestens hinsichtlich oft und vor allem hinsichtlich der Qualität dessen, was da gelernt wird.
Was sollen begleitende Externe bringen? Das müsste schon die Presse sein, und die Presse müsste ein Interesse daran haben, die tradierte Geschichte über Lehrer zu ändern. Aber mehr Transparenz: das wäre auf jeden Fall gut.
Die Arbeitszeiterhöhung für Lehrkräfte hat den Landtag in der vorbereiteten Form passiert. Jetzt werden an vielen Schulen Klassenfahrten eingestellt. Soviel zum „Und nu?“ . Jetzt bleibt eben nur fraglich, wie lange diese Form des Widerstands anhält, wenn z.B. die Nachbarschule, zu der man in Konkurrenz steht, selbige eben weiter anbietet. Gesamtschulen sind schließlich nicht von dieser politischen Aktion betroffen und es gibt Bereiche, in denen auch Gymnasien zueinander im Wettbewerb stehen.
Von klassischen schulischen Lernbegriff aus gesehen, mag der Lerneffekt von Klassenfahrten natürlich kritisch zu sehen sein. Viele Kinder erleben es aber außerhalb von Schule nicht mehr, wie es ist, nicht Mamis Essen zu bekommen, sich ein Zimmer mit mehreren zu teilen oder ihr Bett sowie Sachen selbst zu managen. Alltagskompetenz halt, die zu „früheren Zeiten“ vielleicht doch etwas vehementer abverlangt wurde. Von den „Nebeneffekten“, die z.B. ein Anfängerskikurs (wir sind Flachländer) für die Selbstachtung bringt, mal abgesehen.
Das mit den Externen ist eine Idee. Fahrten zu streichen ist eine Idee. Was beides bringen wird, wird man sehen – beim letzten eher als beim ersten.
Eine kleine Schule wird damit stark unter Druck gesetzt. Denn bietet sie keine Klassenfahrten und Exkursionen mehr an, dann melden sich u.U. noch weniger Schüler im nächsten Jahr an und die Schule wird bald dichtgemacht.
@ixsi
Schau mal in Landkreise, die Schulentwicklungsgutachten in Auftrag gegeben haben. Kleine Gymnasien teilen dort sehr bald das Schicksal kleiner Grundschulen – wenn die Anmeldezahlen nicht stimmen. Das Streichen von Klassenfahrten wird nicht dazu führen, dass Anmeldezahlen steigen.
Diese Diskussion gab es für bayerische Realschulen vor einigen Jahren schon in Zusammenhang mit Arbeitszeiterhöhungen. Auch das Streichen z.B. der Fahrten wurde dabei erörtert und stellenweise durchgeführt. Zwei Probleme habe ich dabei beobachtet: a) Es hat außerhalb quasi niemanden interessiert oder im ungünstigsten Fall b) kam es so an, als wenn sich die Lehrer ihre Arbeit erleichtern wollten und zu faul sind ( womit sich die Katze wieder usw.).
Was sich aber in Zusammenhang mit Fahrten, Exkursionen und außerschulischen Projekten erfolgversprechender bei uns z.B. zeigte – unabhängig von der politischen Diskussion – , war die schulinterne Koordination dieser Fahrten. D.h. die Zeitphasen wurden aufeinander abgestimmt, es gibt für jede Stufe nur eine größere „Fahrt“, kleine Exkursionen werden reduziert, die Fahrten sind immer auch mit Bildungsinhalten verknüpft, die inhaltlich vorbereitet sind (Begleitlehrkraft arbeitet damit aber selbstverantwortlich) und stellenweise benotet werden. Damit konnte die Überlastung des Vertretungsplans eingedämmt werden, die Eltern wissen, was finanziell auf sie zukommt, und die Kollegen können sich bei ihren Klassen terminlich vorbereiten, was z.B. Schulaufgaben angeht.
Wie gesagt ungeachtet all dessen, was diese Diskussion angeht und dem seltsamen Gefühl, dass nicht einmal der eigene Dienstherr die eigene Arbeit richtig ein- oder wertschätzt.
Unter den beschriebenen Bedingungen halte ich das Einstellen von Klassenfahrten für den falschen Weg, weil es nur vordergründig eine Entlastung gibt. Ich habe dabei oft die Erfahrung gemacht, dass eine Klassenfahrt mir im Nachhinein in der Zusammenarbeit mit den Schülern viel Erleichterung verschafft, sei es bei Disziplinproblemen, aber auch im alltäglichen Beisammensein. Natürlich unter der Vorbedingung, dass ich eine Klassenfahrt auch als Veranstaltung mit den Schülern betrachte und nicht als Bespaßungsprogramm oder dem, an was Herr Rau sich wahrscheinlich erinnert fühlt. Was nicht bedeutet, dass man keinen Spaß haben darf.
Unterm Strich aber müssen sich in der Schule alle Beteiligten darüber Gedanken machen, wie man mit der Belastung umgeht. Dass hier ungemeiner Stress entsteht liegt zum einen an dem Verhalten des Dienstherrn, aber auch zu einem Teil an Reibungsverlusten in der Schulorganisation. Und noch einmal: Das Streichen von Klassenfahrten und außerschulischen Aktivitäten wird wahrscheinlich nichts bringen, wenn es die einzigen Schrauben sind, die man dreht.