Narration, Diskurs und Geschichte
„Die Fahrt nach London war einfach total klasse. Das Hotel sah auf den Fotos ja schon ein wenig schäbig aus, naja, aber dann war es gar nicht so schlimm. Der der Tag in Oxford im Christ Church College hat mir besonders gut gefallen, das hätte man aber auch schon früher, so nach dem ersten Tag statt Mdm. Tussauds machen können. Die Stadtrundfahrt am zweiten Tag hingegen war toll. Auch dass wir am letzten Tag noch mal ausgiebig Zeit zum Shoppen hatten, hat mir gut gefallen.“
„London, naja, ging so. Die Stundrundfahrt war voll langweilig – echt wenig shocking. Das mit Mdm. Tussauds war ok, aber dann doch ein wenig teuer. Die Plätze im Musical am Abend hätten da echt besser sein können – naja, London ist ja scheißteuer. Ey – und der letzte Tag erst – nur in der Stadt herumlaufen. Man war ich froh, als wir endlich wieder im Bus chillen konnten. Einzig die große Halle von Harry Potter in Oxford war ja ganz nett. Cool, dass das in echt voll der Speisesaal ist, Krass.“
Hier erzählen zwei fiktive Schülerinnen oder Schüler von einer Londonfahrt. Es handelt sich um die gleiche Fahrt, dennoch sind ihre Gesprächsvorträge grundverschieden. Begrifflich bekommt man das gut durch ein strukturales Prinzip in den Griff. Jede Erzählung besitzt drei Ebenen:
1. Die Narration
Eine Erzählung wird uns durch einen in der Regel fiktiven Erzähler vemitteln, der uns seinen Bericht mehr oder minder einfärbt bzw. das Geschehen ggf. auch wertet. Das hat im Prinzip viel mit dem Begriff der Erzählhaltung zu tun. Bei den Beispielen haben wir einmal einen begeisterten und einmal einen eher unengagierten Erzähler vor uns. Beide transportieren neben den Sachinformationen weitere, jeweils unterschiedliche Aspekte.
2. Der Diskurs (discours)
Der Diskurs ist das, was wir tatsächlich lesen oder hören. Chronologie spielt dabei keine große Rolle. Ein Diskurs ist einfach nur der Text – oder eben der (hier fiktiv) mündliche Bericht.
3. Die Geschichte (histoire)
Durch den Diskurs bauen wir uns als Leser oder Hörer die Geschichte zusammen, d.h. wir ordnen das Erzählte chronologisch. Das kann man schön bei Krimis sehen, die dadurch funktionieren, wesentliche Teile der Geschichte bis zum Schluss offen zu lassen.
Was hilft’s?
Mir macht es noch einmal deutlich, worin sich moderne und postmoderne Texte deutlich voneinander unterscheiden. Die Postmoderne entkoppelt Diskurs und Geschichte oft in einer Art und Weise, dass sich ihre Texte normalen (in Schule meint das: hermeneutischen) Analysevrfahren entziehen, bzw. genau das zu ihrem Konstruktionsprinzip erheben. Dazu kommt gelegentlich ein Erzähler (eine Narration), der nicht vertrauenswürdig ist und sich in teilweise sogar Widersprüche verwickelt. Solche Texte bekommt man mit diesem Grundgerüst besser in den Griff – anwenden lässt sich das generell aber auf jeden Text.
Mir ist dabei auch bewusst geworden, dass eine „Inhaltsangabe einer Kurzgeschichte“ ja im Wesentlichen „nur“ fordert, die Geschichte sachlich herauszuarbeiten. Der Schwierigkeitsgrad steigt dabei umso mehr, je weiter Diskurs und Geschichte in einem Text auseinanderdriften. Das lässt sich schön mit zwei Zeitstrahlen zeigen, von denen einer die wichtigsten Ereignisse des Diskurses z.B. nach Seitenzahlen abbildet, während der andere selbige chronologisch ordnet: Durcheinander von Ereignissen vs. Durcheinander von Seitenzahlen.