Von Harvestern, Aggregierern, Denkern und Contentern
Ich teile mich heute für euch auf in verschiedene Persönlichkeiten, die meine Netzidentität betreffen. Darauf gekommen bin ich durch Herumlesen in meinem Blog. Je nach Stimmung und Phase scheint mir mal die eine, mal die andere Persönlichkeit stärker präsent. Ich habe versucht, alle Persönlichkeiten mit Schwächen und Stärken darzustellen. Das ist nur teilweise neutral gelungen… Völlig fehlt, dass jede dieser Persönlichkeiten im Netz natürlich interagiert – und zwar nicht nur mit sich selbst. Der Duktus ist ein wenig negativ bis kritisch. Das liegt vor allem daran, dass ich zurzeit dem Netz sehr distanziert gegenüber bin, weil ich so viel vor Ort konkret handeln kann, bzw. in handlungsrelevante Strukturen eingebunden bin.
Der Harvester
Der Harvester in mir zieht aus dem Netz, was ihm persönlich nutzt. Er schafft keine eigenen Inhalte, er erwartet jedwede Dienstleistung kostenlos oder extrem günstig. Der Harvester kauft wohl das eine oder andere im Netz, erledigt seine Bankgeschäfte usw. – aber eben nur, weil er davon einen persönlichen Nutzen hat. Der Harvester, der in Foren unterwegs sind, erwartet umfassende Individuallösungen für sein spezifisches Problem und zwar schnell. Normalerweise gibt der Harvester nichts zurück. Allenfalls reagiert er gereizt oder ungehalten, wenn ihm eine Leistung nicht mehr im bisherigen Umfang zur Verfügung steht. Der Harvester hat in der Regel keine Einsicht in wirtschaftliche Zusammenhänge, z.B. die Kosten von Personal und von IT-Infrastruktur.
Der Harvester liefert kein oder nur indirektes ideelles Kapital für den Denker und Contenter, da er allein durch Zugriffsstatistiken quantitativ wahrnehmbar ist. Der Harvester neigt dazu, Inhalte aktiv zu suchen, anstatt sie zu sich kommen zu lassen, z.B. über Social Networks oder RSS-Feeds.
Der Aggregierer
Ein Eldorado für den Aggregierer in mir wäre zur Zeit paper.li scoop.it. scoop.it fasst Links, Tweets usw. zu einer Art Zeitung zusammen, die sich quasi von selbst schreibt. Die Leistung des Aggregierers besteht darin, dass er die Inhalte seiner „Zeitung“ auswählt und selektiert. Der Aggregierer in mir unterliegt immer der Versuchung, sein Blog oder seine Timeline durch Drittquellen fast vollständig befüllen lassen. Der Aggregierer collagiert. Seine Collage ist zwar ein Produkt, jedoch ein derart individuelles, dass es keine relevante Zielgruppe mehr besitzt. Der Aggregierer in mir weiß das ziemlich genau, da er einen eigenen Linkverkürzungsdienst nutzt und die Klicks auf diese Links statistisch auswertet.
Der Aggregierer hat eine enorme Publikationsfunktion für den Denker und den Contenter, da er für die notwendige Wahrnehmung durch z.B. Distribution in sozialen Netzwerken sorgt. Der Aggregierer hat in der Regel heimliche Regeln, die Inhalte zwischen „gut“ und „schlecht“ selektieren. Die Linie wird in bestimmten Gruppen gezogen – im Edu-Bereich gilt z.B. oft das Gymnasium als unbestreitbar selektierende Schulform als „schlecht“, gemeinsames Lernen als „gut“.
Der Denker
Der Denker in mir sammelt Ideen. Er schnürt aus den Ideen Dritter neue Ideenpakete und möchte durch seine Analysefähigkeit Diskurse voranbringen, sieht sich manchmal als Inspiration für andere und verändert und beeinflusst im besten Fall Gedanken. Der Denker liefert dem Aggregierer und Harvester Input. Ohne den Aggregierer ist der Denker umgekehrt recht einflusslos, weil er einerseits selbst auf externen Input angewiesen ist, um Sachverhalte zu rekombinieren, anderseits aber auch seine Ideen verbreitet werden müssen, damit der Denker im Netz als Denker erkennbar ist. Für den Denker ist „denken“ eine Handlung und ein Wert an sich. Der Denker hat den Hang, umfassende Konzepte zu entwickeln, deren Realisation er aber oft nicht in seiner individuellen Verantwortung sieht. „Vision“ ist eines der gängigen Lieblingsworte des Denkers. Der Denker in mir läuft immer Gefahr, selbstreflexives Metageseier zu produzieren, wenn es ihm nicht gelingt, die eigene Echokammer zu überwinden. Der Denker ist in der Regel nicht teamfähig. Die Wahrnehmung der eigenen Person im Netz ist ihm meist wichtiger, als sich einem bestimmten, konkreten Projekt zuzuordnen.
Der Contenter
Der Contenter liefert alle Arten von Artefakten. Das können Informationen, Artikel zu Sachthemen, Bilder und Videos sein. Der Contenter ist in sozialen Netzwerken selten stark präsent, sondern hält sich eher im Hintergrund. Der Contenter verfügt hin und wieder über einen altruistischen, weltverbesserischen Habitus, weil in seinem Bewusstsein das Netz nichts ist ohne seine Arbeit. Er agiert nativ selbstlos, kämpft hart im das „Wahre und Schöne“. Technisch ist das Forum als Hilfegebender oft eine Plattform für den Contenter. Dazu passt, dass der Contenter ist fast zwangsläufig in größeren Projekten organisiert ist, zu denen sein eigener Beitrag klein genug ist, um nicht öffentlich in Erscheinung zu treten. Der Zusammenschluss zu einem größeren Ganzen ist zwingend notwendig, um von dem Harvester, Aggregierer und Denker wahrgenommen zu werden. Die Legimation bzw. der Lohn der eigenen Arbeit besteht weniger aus konkreten Rückmeldungen, sondern vielmehr aus statistischen Daten wie Zugriffszahlen.
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