Die mediale Dividende
Ich habe diese Woche angefangen, Unterricht mit Hilfe von GoogleDocs vorzubereiten – für jede Lerngruppe ein getrenntes Dokument, mit Datum, mit Links zu z.B. verwendeten Arbeitsblättern, mit Bildern, Links zu Videos usw.. Mein Schultasche ist seitdem seltsam aufgeräumt und leer.
Wichtigstes Gerät ist mein Asus D250, manchmal in Bluetooth-Ehe mit meinem Handy. Es passieren seltsame Dinge: Während Stillarbeitsphasen füge ich Kommentare und Ideen von SuS in das Dokument ein. Ich habe mich heute sogar dabei ertappt, meine spontan an der Tafel verbesserten Formulierungen dort eingearbeitet zu haben und ich habe mich dabei ertappt, meine Unterrichtsvorbereitungen in meinen Klassenblogs verlinken zu wollen.
Was noch nervt ist, dass ich meine GoogleDocs-Tafelbilder nicht direkt auf ein SMART-Board beamen und dort an Ort und Stelle verändern kann – so könnte man sogar live diskutieren, warum ich jetzt gerade Chloes Satz nehmen will und nicht meinen, den ich mir zu Hause ausgedacht habe. Nebenbei hätte jeder Zugriff auf die gleichen Aufzeichnungen in gleicher Qualität: Was kann Schüler x oder Schülerin y eigentlich für seine/ihre Schrift? Wie aussichtsreich und sinnvoll sind Erziehungsversuche – die sich in unserem Schulsystem oftmals in Sanktionen erschöpfen – bei einem z.B. Neuntklässler? Wie viele von ihnen wandeln sich eigentlich vom Saulus zum Paulus?
Gerade aktuell habe ich in meiner 6. Klasse kleine Diktate zur Schreibung von Fremdworten entwickeln lassen – es folgte darauf ein Partnerdiktat. Wäre es nicht hübsch, alles gleich digital zu haben, um dann das kreative Übungsmaterial noch mal ohne weitere (und sinnlose) Abschriften zu überarbeiten und vom Schwierigkeitsgrad her „hochzuzüchten“? Muss man nicht in der Schule machen – geht auch als Hausaufgabe im Klassenblog.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde die Handschrift wichtig. Sie ist ein Fallback für Fälle, in denen keine Energie oder kein Netz zur Verfügung steht. Und manchmal ist etwas schneller gekritzelt als gesmartboardtet (außerdem sieht SMART-Gekritzel meist by Design bescheiden aus – das kann die Tafel noch besser). Ich möchte kein Kunstwerk in den Bilderrahmen meiner Schule missen.
Aber ich frage mich zunehmend, wie viel Zeit wir in der Schule völlig ineffizient für Abschriften verschwenden. Ich warte auf den Beweis, dass sich beim Abschreiben Inhalte eher festigen – das wird ja oft als Argument ins Feld geführt.
Und selbst wenn das beweisbar ist:
Einen Text dadurch zu überarbeiten, dass ich ihn abschreibe, anstatt ihn zu editieren, mag wohl Sinn machen, wenn die Schrift als solche gelernt werden soll. Ich sehe darin keinen Nutzen für das Wesen der Überarbeitung: Textstellen zu optimieren, Sätze umzustellen etc..
Im Schulsystem dürfte eine Menge mediale Dividende stecken…
Ich finde, dass die eigene Handschrift kein „Fallback“ für Zeiten ohne Strom ist, sondern etwas, das den Menschen ausmacht, das etwas über ihn sagt und das ein hohes Kulturgut ist. Die Handschrift ist etwas ganz persönliches, etwas, das jedem Menschen zu eigen ist und leider etwas, das zunehmend an Bedeutung verliert.
Klar – meine Arbeitsblätter schreibe ich auch mit dem Computer und mit einem Notationsprogramm – das sind aber auch rein funktionale Dinge. Wie viel persönlicher ist aber ein handgeschriebenes Stück Musik? Würde ich meiner Angebeteten das selbstgeschriebene Musikstück nicht viel lieber als Handschrift überreichen denn als Computerausdruck?
In eine lesbare und charaktervolle Handschrift muss man eine Menge Arbeit stecken – ich selbst habe das in jungen Jahren erfahren (müssen), als ich mir angewöhnt hatte, unleserlich und verschmiert zu schreiben.
Heute bin ich froh darum, damals eine „harte Zeit“ gehabt zu haben – denn heute gehört eine leserliche Handschrift zu meinem Job, sei es an der Tafel oder unter Klassenarbeiten.
Der Computer hat seine Berechtigung im Unterricht und er wird von vielen Kollegen noch viel zu selten und viel zu unselbstverständlich eingesetzt. Aber ich finde, man kann auch im Bereich „digitaler Unterricht“ in Aktionismus verfallen und alles digital machen, nur um des „Digitalmachens“ willen.
Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist der Kontext, auf den es ankommt. Die Handschrift wird in der persönlichen Kommunikation und in der Kunst eine Funktion behalten.
Die bisherigen digitalen Tafeln taugen in meinen Augen noch nicht viel – zu ungenau ist die „Digitalisierung“ meiner handschriftlichen(!) Skizzen und Texte, weshalb ich die Tafel immer noch mag.
Auch hier im Blog wirst du im chemischen Kontexten immer noch digitalisierte, handschriftliche Schemata und Skizzen finden.
Aber ebenso wie du kritisch anmerkst, dass das Digitale manchmal um des Digitalen gemacht wird, wird viel zu oft abgeschrieben, weil es „immer so war“ – auch in Kontexten, in denen die Abschrift didaktisch sinnlos ist – z.B. bei einer Textüberarbeitung, weil sie Potentiale schlicht verschenkt.
Ich frage mich wirklich, ob die Handschrift an sich an Wert verliert, wenn sie vermehrt als künstlerische Ausdruckform wahrgenommen wird. Vielleicht tut man ihr durch Funktionalisierung und die Belegung mit vielen „Negativerfahrungen“ viel mehr an…
Ich finde den Bericht von Maik sehr wertvoll:
Wer einmal die Erfahrung gemacht hat, wie viel Ordnung durch das Verknüpfen von Inhalten in die eigenen Gedanken kommt, wie befriedigend die ständige Weiterentwicklung des daraus entstehenden Netzwerks ist und wie einfach das Nachvollziehen von explizit verknüpften Informationen für Lernende sein kann, der wird angesichts dieses gerade erst entdeckten Reichtums auch die Verantwortung spüren, den Menschen diese neue Welt zugänglich zu machen.
Ich denke schon, dass es einen Unterschied macht, ob man Texte digital schreibt und überarbeitet oder handschriftlich. Am Rechner werden Absätze kürzer, Satzbaufehler häufen sich, man schreibt eher drauflos. Handschriftlich, geübt handschriftlich, überlegt man sich zweimal, was man hinschreibt, eben weil die Korrektur so aufwändig ist. Aber: Vorteile hat das digitale Schreiben und Editieren auch. So viele, dass ich selber nur digital arbeite.
Ich vermute, dass Schüler auch besser damit zurecht kämen, Texte am Rechner zu verfassen. Ganz sicher bin ich mir nicht, jedenfalls habe ich keine empirische Bestätigung dafür.
(Handschrift: für vieles wichtig, keine Frage. Ich habe selber eine schöne Handschrift und bin voreingenommen.)
Aber wenn ich dich richtig verstanden habe, geht es ja wohl eher darum, ob überhaupt abgeschrieben wird oder nicht. Und da bringt es am meisten, denke ich, je mehr Gestaltungsraum man beim Abschreiben hat. Gestalten heißt umformen und sich einverleiben. Ich habe neulich bei einem Unterrichtsbesuch erlebt, dass das Tafelbild zweispaltig war, die dazu analogen zwei Merksätze aber nicht in den Spalten standen, sondern quer über die ganze Tafel unter den Spalten. Mindestens eine gute Schülerin hat das in ihrem Heft angepasst und auch die Merksätze in die Spalten geschrieben. Da bringt auch Abschreiben etwas.
Ich möchte seit Jahren immer schon gerne ein Experiment machen:
Ein Kollege oder eine Kollegin stellt den Mitgliedern der Deutschfachschaft eine Aufgabe, die auf Klausurniveau eines Grundkurses liegt – meinetwegen auf sicherem Terrain – SuD oder so. Alle bekommen Zettel und ein schönes Schreibgerät und dürfen 90+5 Minuten lang loslegen. Der beste Text wird prämiert.
Ich weiß, von mir, dass ich keine Vorstellung davon habe, was es heißt, ad hoc einen in sich geschlossenen Text handschriftlich formulieren zu müssen, obwohl ich viele meiner Artikel hier einfach „runterschreibe“. Und ich weiß, welche KuK sich weigern werden, da mitzumachen.
Die Handschrift wird in ca. 90% aller Unterrichtssituationen eine zentrale Rolle spielen. Wie oft wird sie dabei didaktisch begründet eine Rolle spielen und wie oft wird sie eingesetzt, weil das schon immer so war?
Die Textverarbeitung und die Handschrift bedürfen m.E. immer einer didaktischen Rechtfertigung. Bei der Handschrift hinterfragen wir wahrscheinlich aber weit weniger.
Übrigens:
Bei mir führen alle SuS ein schriftliches(!) Regelheft (mit Inhaltsverzeichnis und so), das wir im Unterricht regelmäßig als Nachschlagewerk verwenden. Und sie schreiben natürlich immer noch Tafelbilder ab. In Chemie lernen sie mit ihrem Ordner, der chronologisch und schriftlich(!) fixiert ist (weil ich viele Chemiebücher doof finde).
Aber immer dann, wenn Schreibaufgaben komplexer werden, wenn viel Vorentlastung einzuarbeiten ist, wenn es um Überarbeitung geht, empfinde ich das Schulheft als eher hinderlich für den Lernprozess – und intransparenter als ein Blog ist es auch – klar kann ich die Hefte regelmäßig einsammeln und Unterrichtszeit für „Nachforderungen“ einsetzen…
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