Ideelle Kosten und ideeller Gewinn
- Warum wenden sich die Menschen nicht von Facebook ab?
- Warum wechseln Menschen nicht den Stromanbieter?
- Warum bauen Menschen nicht jeden Tag neu Kompetenzen auf?
- Warum investieren Menschen in Autos mit Verbrennungsmotoren?
- Warum schließen Menschen Handyverträge ab?
- […]
Dinge, die wir kaufen oder nutzen, sind mit Kosten verbunden. Direkt messbar sind z.B. finanzielle Kosten.
Ein Beispiel:
Ein iPhone oder iPad mit Vertrag kostet ca. 50,- Euro / Monat, wenn man einen Vertrag mit Flatrate nutzt. Dabei bindet man sich nicht selten für zwei Jahre an einen Anbieter und hat mit Pech eine Kündigungsfrist von 12 Monaten zum Vertragsende. In zwei Jahren laufen damit Kosten in Höhe von 1200,- Euro auf. Darin enthalten ist die Hardware (ca. 600 Euro), die Provision für den Handyshop (die Höhe lässt sich abschätzen, wenn man den Wert der oft „kostenlosen Zugaben“ freier Anbieter anschaut) usw..
Wie viel Prozent der Durchschnitts-iPhone-Nutzer bewegen mehr als 200–500MB Daten im Monat?
Für alle, die darunter liegen, gibt es auf dem Markt Angebote ab 10,- Euro pro Monat in Netzen mit mittlerweile akzeptabler Qualität oder sogar gesockelte Tarife, bei denen nur das genutzte Kommunikations- und Datenvolumen anfällt und die sogar monatlich kündbar sind. Selbst in Kombination mit einer Prepaidflat fahren wahrscheinlich 70–90% der Nutzer ohne einen Vertrag auf die Laufzeit gerechnet erheblich günstiger als mit üblichen Flats und können sogar den Anbieter beliebig wechseln.
Das macht kaum jemand.
Man könnte das auch einmal für einen Neuwagen mit Verbrennungsmotor durchrechnen im Vergleich zu einem 10 Jahren alten Fahrzeug inkl. aller anfallenden Kosten: Finanziell macht ein Neuwagen wahrscheinlich sehr selten bis gar keinen Sinn. Von Umweltbilanzen sprechen wir besser auch nicht: Die meisten Schadstoffe stoßen Autos wie z.B. auch Wohnhäuser während ihrer Herstellung aus.
Es kann also bei Autos und Handyverträgen nicht um das Geld gehen – es muss etwas anderes sein, was ich als ideellen Gewinn bezeichne.
Ich bin letztens über eine britische Studie gestolpert, die sich mit der Frage auseinandergesetzt hat, warum Menschen nicht ihren Stromanbieter wechseln. Es kam heraus, dass die Angst vor negativen Konsequenzen (Formulare, versteckte Preiserhöhungen, Kündigungsfristen usw.) so hoch ist, dass viele Konsumenten erst zu einem Wechsel bereits waren, wenn der potentielle einsparbare Betrag eine Grenze von ca. 300,- Euro überschritt – d.h. hier wurde der Wert des „Ideellen“ bezifferbar. Dabei ist es für den Wettbewerb essentiell, die Monopole der großen Anbieter zu schwächen.
10 Jahre alte Autos bleiben nicht signifikant öfter liegen als aktuelle Modelle, wenn sie gut nur gewartet werden. Der ideelle Gewinn eines Neuwagens ist offenbar so hoch, dass sogar tausende von Euros als Gegenwert anzusetzen sind – für 1000,- Euro kann ich sehr viel im Jahr reparieren lassen. Die Branche lebt von den Gefühl, von der Statuswertigkeit des Automobils, was uns die finanzielle Seite außer Acht lassen lässt.
Facebook lebt sehr gut von dem ideellen Gewinn, den es seinen Nutzern beschert (Kommunikation, Kontakte, Information usw.). Wie weit Nutzer für die Erhaltung dieses Gewinnes gehen, wird gerade durchgespielt. Facebook ist nicht böse.
Es existiert lediglich durch das Verlangen nach ideellem Gewinn durch seine Nutzerinnen und Nutzer. Facebook wird so weit gehen können, wie seine Nutzerinnen und Nutzer es erlauben. Und nicht nur seine Nutzerinnen und Nutzer: Sobald jemand aus meinem Bekanntenkreis die neue App freudstrahlend nutzt, dann hat Facebook auch meine Adresse, meine Telefon- und Handynummer, meine E‑Mailadresse(n) – auch wenn ich keine Account dort habe, bin ich trotzdem in Facebook – über Google schimpfen z.Zt. alle weit mehr.
Es ist nicht verwerflich, dass die Wirtschaft das Prinzip des ideellen Gewinns für sich entdeckt hat – es ist eher schlimm, dass z.B. Schule als Institution das noch nicht entdeckt hat. Das Geheimnis ist nur, Schule so zu machen, dass der ideelle Gewinn für alle Beteiligten die ideellen Kosten überwiegt. Für den Staat gilt das gleiche.
Ich bin übrigens immer noch bei einer Großbank. Besser wäre es, mein Geld dort aufschlagen zu lassen, wo damit transparent und nachhaltig umgegangen wird – solche Banken gibt es. Aber dann müsste ich ja allen Versicherungen, Vertragspartnern, dem Dienstherren usw. mitteilen – puh – diese ideellen Kosten…
Logik ist nicht unser Problem. Kognitiv werden wir nicht überzeugen. Wir brauchen Sex-Appeal. Kommt jemand mit in die Muckibude?