Nukleophile Substitution vs. Eliminierung

Vie­le Ver­suchs­vor­schrif­ten für die elek­tro­phi­le Sub­sti­tu­ti­on gehen von Stof­fen aus, deren Hand­ha­bung im schu­li­schen Kon­text mitt­ler­wei­le sehr kri­tisch gese­hen, wenn nicht sogar gänz­lich unter­sagt ist. Durch Zufall bin ich im Netz auf ein Prak­ti­kums­skript gesto­ßen, wel­ches vie­le didak­ti­sche Poten­tia­le bie­tet ohne dabei mit über­aus schäd­li­chen Sub­stan­zen zu ope­rie­ren. Gleich­wohl gehört auch die­ser Ver­such nicht in Schü­ler­hand.  Der Ver­such klappt ganz hervorragend.

90mL kon­zen­trier­te, rau­chen­de Salz­säu­re wer­den mit ca. 25mL ter­tiä­ren Butyl­al­ko­hol (2‑Me­thyl-Pro­pan-2-ol) in einem 500mL Rund­kol­ben unter Rück­fluss mit einem elek­tri­schen Heiz­pils ca. 15 Minu­ten zu Sie­den erhitzt (Sie­de­stein­chen nicht ver­ges­sen). Die Appa­ra­tur soll­te nach unten hin so viel „Luft las­sen“, dass man den Heiz­pils jeder­zeit absen­ken und so das Inne­re des Kol­bens gemein­sam mit den SuS betrach­ten kann.

Die notwendige Apparatur

Die not­wen­di­ge Appa­ra­tur, Zeich­nung erstellt mit C‑Design.


In dem anfangs homo­ge­nen Gemisch bil­den sich wäh­rend des Ver­su­ches zwei Pha­sen aus: Eine wäss­ri­ge, leicht gelb­li­che unten, und eine kla­re, farb­lo­se oben. Die wäss­ri­ge Pha­se wird nach dem Abh­küh­len unter dem Abzug mit einem Schei­de­trich­ter abge­trennt und nach einem Misch­ver­such mit Was­ser ver­wor­fen, die orga­ni­sche Pha­se im Ide­al­fall mit Natri­um­hy­dro­gen­car­bo­nat­lö­sung mehr­fach gewa­schen, bis kei­ne sau­re Reak­ti­on mehr ein­tritt. Auch hier bie­tet sich mit einem Teil ein Misch­ver­such mit einem pola­ren und einem unpo­la­ren Lösungs­mit­tel an, um die hydro­pho­ben Eigen­schaf­ten nachzuweisen.

Die orga­ni­sche Pha­se ent­färbt danach schwach kon­zen­trier­tes Brom­was­ser (Pro­be mit Brom­was­ser in einem Reagenz­glas schüt­teln) und zeigt zusätz­lich eine posi­ti­ve Beil­stein­pro­be. Da gibt es dann eine gan­ze Men­ge aus­zu­wer­ten und zu deuten.

Was geschieht bei dem Versuch?

So oder so bil­det sich inter­me­där ein durch die drei Methyl­grup­pen am ter­tiä­ren Alko­hol ein durch den +I‑Effekt sta­bil­sier­tes Car­be­ni­um­ion (P1) gemäß:

Ste­ri­sche Veränderungen

Man sieht hier den ter­tiä­ren Alko­hol (rechts) im Ver­gleich zum sich bil­den­den Car­be­ni­um­ion (links). Das Car­be­ni­um­ion ist eigent­lich so nicht ganz gelun­gen, es müss­te eigent­lich völ­lig flach (pla­nar) sein, was aber das Java-Plug­in nicht hergibt:



Die nukleo­phi­le Substitution

Das Pro­ton aus der Salz­säu­re macht aus der Hydro­xy­grup­pe des Alko­hols eine gute Abgangs­grup­pe. Das ent­ste­hen­de, pla­na­re Car­ben­u­mion lässt einen beid­sei­ti­gen Angriff des Nukleo­phils in Gestalt des Chlo­ridions zu:

Es bil­det sich 2‑Chlor-2-Methyl­pro­pan (P2), wel­ches als Halo­gen­al­kan eine posi­ti­ve Beil­stein­pro­be ergibt und ver­hält­nis­mä­ßig ungif­tig ist. Die­ses Pro­dukt ent­steht bei der ein­ge­setz­ten kon­zen­trier­ten Salz­säu­re durch das hohe Ange­bot an Chlo­rid­io­nen in recht guter Aus­beu­te. Wer mag, kann die resul­tie­ren­de Aus­beu­te durch frak­tio­nier­te Destil­la­ti­on der orga­ni­schen Pha­se ermit­teln. Wie man sieht, wird die Salz­säu­re bei die­ser Reak­ti­on verbraucht.

Die Kon­kur­renz­re­ak­ti­on

Das ter­tiä­re Car­be­ni­um­ion kann sich auch noch anders sta­bi­li­sie­ren, näm­lich durch Abga­be eines Protons:

Dabei ent­steht 2‑Methylpropen (P3), eine Alken, wel­ches sich quan­ti­ta­tiv mit Brom umsetzt und dadurch mit Brom­was­ser nach­weis­bar ist. Damit die­ser Nach­weis wirk­lich sicher klappt, ist das Waschen mit Natri­um­hy­dro­n­gen­car­bo­nat not­wen­dig, da sich theo­re­tisch auch rest­li­cher Chlor­was­ser­stoff an die Dop­pel­bin­dung addie­ren könn­te. Prak­tisch tritt – zumin­dest bei mir – die Ent­fär­bung des Brom­was­sers auch ohne eine sol­che vor­he­ri­ge Behand­lung auf. Wie man sieht, fun­giert die Salz­säu­re bei die­sem Reak­ti­ons­ver­lauf ledig­lich als Katalysator.

Poten­tia­le des Versuches

An dem Ver­such lässt sich eine gan­ze Men­ge zei­gen. Auch eine Dis­kus­si­on auf Basis des che­mi­schen Gleich­ge­wich­tes ist mög­lich: War­um begüns­tigt eine hohe Chlo­rid­io­nen­kon­zen­tra­ti­on die nukleo­phi­le Sub­sti­tu­ti­on? Erfreu­li­cher­wei­se ver­läuft die gan­ze Geschich­te nach SN1 bzw.  E1 , da ein recht sta­bi­les, ter­tiä­res Car­be­ni­um­ion inter­me­di­är auf­tritt, was mecha­nis­ti­sche Schreib­ver­ren­kun­gen deut­lich redu­ziert. Wer will, kann auch noch vom Mole­kül­bau auf phy­si­ka­li­schen Eigen­schaf­ten schlie­ßen: War­um ist das Gemisch anfangs homo­gen und besteht am Schluss aus zwei Pha­sen? Es gibt eine Men­ge zu schau­en und zu rie­chen (vorher/nachher – Riech­kol­ben! Che­misch rie­chen!), die Sache ist recht ungif­tig, unge­fähr­lich und außer­dem schnell zusammengesteckt.

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4 Kommentare

  • Sara

    Hi,

    ich fin­de die­sen Ver­such ziem­lich gut und habe ihn auch direkt mal gemacht, um Eli­mi­nie­rung und Sub­sti­tu­ti­on noch ein­mal zu fes­ti­gen und anschlie­ßend mit dem Brom­nach­weis einen hüb­schen Ein­stieg in die elek­tro­phi­le Addi­ti­on zu haben. Bei der Vor­be­rei­tung klapp­te die Bro­m­ent­fär­bung auch, aller­dings ist das Eli­mi­nie­rungs­pro­dukt ja gas­för­mig… und daher fra­ge ich mich inwie­fern das wirk­lich in der orga­ni­schen Pha­se vor­lie­gen kann? – (es klapp­te auch nur unmit­tel­bar nach der Aufreinigung).…

    Vie­le Grüße
    Sara

  • Guter Punkt. In gewis­sem Maße ist es ggf. lös­lich, in Etha­nol und Ether ja sogar gut. Jetzt ist dann ein wenig Recher­che ange­sagt :o)…

  • Thomas

    Habe den ver­such heu­te im Unter­richt ein­ge­setzt – funk­tio­niert ganz her­vor­ra­gend (sowohl aus expe­ri­men­tel­ler als auch didak­ti­scher Sicht). Ich habe den Ansatz hal­biert und einen ent­spre­chend klei­ne­ren Kol­ben verwendet.

    Der ein­deu­ti­ge Nach­weis des in Kon­kur­renz ent­ste­hen­den Alkens gelingt, indem oben an den Rück­fluss­küh­ler eine Wasch­fla­sche mit Brom­was­ser ange­setzt wird. Dort perlt wenig Gas durch, das aber für all­mäh­li­che Ent­fär­bung sorgt. 

    Bei dem Gas kann es sich nicht um tert.-Butylchlorid und natür­lich auch nicht um tert.-Butanol han­deln, weil bei­de am Küh­ler kon­den­sie­ren. HCl wür­de kei­ne Ent­fär­bung ver­ur­sa­chen, weil Chlo­rid­io­nen von Brom nicht oxi­diert wer­den. Es bleibt also nur ein Alken, das zudem noch am Küh­ler vor­bei kommt … .

    Gutes Gelin­gen wünscht

    Tho­mas

  • Dan­ke Tho­mas für die­se net­te prak­ti­sche Erwei­te­rung, die zudem noch eini­ge Rät­sel löst :o)…

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