Dienende Fächer
… mit kaum einem anderem Ausdruck gelingt es mir immer wieder, Fachleiter und an der Fortentwicklung ihrer eigenen Fächer involvierte Kolleginnen und Kollegen auf die Palme zu bringen. Von dem Fach Deutsch erwarten diese dienende Funktion nach meiner Erfahrung viele KuK, dicht gefolgt von Mathematik. Ich persönlich diene gern, weil ich den Kampf um eine gelungene Vorgangsbeschreibung an der chemischen Versuchsprotokollfront nahtlos und für die SuS sinnvoll weiterführen kann: Wenn ich Vorgänge prägnant und mit weniger Worten beschrieben kann, versteht es jeder und weniger schreiben/tippen muss man auch.
Nicht dienen zu wollen ist für mich ein anderer Ausdruck dafür, dass man sich nicht mit anderen Fächern vernetzen will – mit allen dort sich auftuenden, jedoch nicht nur einem Fach zuzuordnenden Bildungspotentialen. Profilieren kann sich mit sowas keine einzelne Fachgruppe, sondern „lediglich“ eine Schulgemeinschaft. Es ist schön, im Deutschunterricht den Blick mehr auf schülerzentrierte, kreative Aufgabenformen zu lenken – für die Anforderungen an sprachlichen Ausdruck im Chemieunterricht ist es bei Ausschließlichkeit fatal. Es ist schön, den Mathematikunterricht von formalen Operationen (z.B. Gleichungsumformungen) durch Hilfsmittel entlasten zu wollen, um auch SuS, die ansonsten genau daran gescheitert wären, einen Zugang zu anspruchsvolleren Problemlösestrategien zu ermöglichen, sie auf ein anderes, viel motivierendes „Level“ zu bringen. In Ausschließlichkeit erlebe ich es für die Betrachtung chemischer Zusammenhänge als fatal: Der formal nicht beherrschte Dreisatz knippst uns Chemikern oft genug das didaktische Licht aus, weil da um ein Zahlengefühl geht, welches ein Hilfsmittel, das zudem an der Universität oft gar nicht mehr eingesetzt werden darf, offenbar effizient verhindert. Über Logarithmen und der damit verbundenen „Taschenrechnergläubigkeit“ könnte ich Romane schreiben…
Fortentwicklung der Fächer halte ich für extrem wichtig. Die Vernetzung der Fächer ist für mich eines der größten ungenutzten Potentiale, dass so lange ungenutzt bleibt, wie ein Fach nur auf sich selbst und seine Bedürfnisse, Wünsche und Träume schaut. Man möge sich einmal die Kerncurricula für Chemie und Biologie für die Oberstufe hier in Niedersachsen zu Gemüte führen: Naturstoffe geben auch für uns Chemiker genug her und die SuS könnten es in Biologie direkt anwenden.
Deswegen sprechen wir in meinem NaWi-Ergänzungskurs gerade über Kohlenhydrate: Es nutzt den Sportlern ebenso wie den Biologen – in meinem Chemiekurs auf erhöhtem Niveau, in dem viele SuS aus dem Sportprofil sitzen, darf ich es nicht unterrichten und intelligent widersetzen kann ich mich dank zentraler Prüfungsvorgaben mit Blick auf die SuS erst recht nicht.
Wenn „Dienen“ nicht als Unterwürfigkeit missverstanden, sondern mehr mit dem Attribut „Vernetzung“ verstanden werden würde… Ja dann würden vielleicht Entwickler von Kerncurricula miteinander und nicht nebeneinander sprechen. Es ist wichtig Deutsch mit Fokus auf Deutsch zu betreiben. Aber es ist meiner Auffassung nach in Ausschließlichkeit in einer sich zunehmend vernetzenden Welt nicht genug, ein Ausdruck von Unsolidarität und curricularer Verantwortungslosigkeit.
Volle Zustimmung. In dem von dir geschilderten Sinne haben vor allem (aber natürlich nicht nur) die „Hauptfächer“ wie Deutsch, Mathematik, Englisch eine dienende Funktion: Denn ohne die Grundkompetenzen, die in diesen Fächern erworben werden sollen und müssen, kann ich in vielen anderen Fächern kaum vernünftig mit den SuS arbeiten.
Ähnliche Beispiele lassen sich auch z.B. in der Physik finden. Leider macht sich hier nicht nur ein mangelndes Zahlengefühl bemerkbar, sondern auch die Paradoxie der Lehrplanvorgaben. So wird oftmals in der Physik Mathematik (trigonometrische Funktionen für das Brechungsgesetz meist in Klasse 8) benötigt, die in Mathe aber erst sehr viel später besprochen wird. Gerade hier wäre dienen – im Sinne von beiderseitiger Vernetzung – wirklich toll: Der Mathekollege spricht über sin/cos/tan und entwickelt gleich mit dem Physikkollegen anwendungsorientierte Aufgaben. Die Kenntnisse werden gleich im vernetzenden Unterricht zwischen Musik und Physik (wie entstehen eigentlich Klänge und wie kann ich sie beschreiben) weiter vertieft… Achja, träumen wird ja noch erlaubt sein? :)
Informatik ist in Bayern auch so ein dienendes Fach – Grundlegendes für Präsentationen und Textverarbeitung. Allerdings erwarte ich mir dann später Kenntnisse über Baumstrukturen, Stochastik und (für Syntaxbäume) Satzglieder. Die muss das Fach Deutsch in der 5. Klasse auch dienend dem Fach Englisch liefern. Daas wiederum dienend sein muss für englsiche Fachtexte, die ich schon mal Schülern in anderen Fächern vorsetze. Und so hat gefälligst jedes Fach den anderen etwas zu liefern, schon mal diesseits jeglicher konkreter Zusammenarbeit.
Leider setzen manche Lehrer ihre Schwerpunkte aber nur aus dem eigenen Fachblickwinkel.
Wenn man als Behörde Zusammenarbeit möchte, so muss man sie auch durch eine entsprechende Curriculumgestaltung ermöglichen. Hier ließe sich wahrscheinlich wirklich einmal etwas „top-down“ erreichen…
Der Lehrplan ist voll mit möglichen Verknüpfungen mit anderen Fächern. Die interessieren aber niemanden, sind auch nicht immer sinnvoll, sind völlig optional – reine Deko. Das könnte man sicher auch besser machen.
@ Herrn Rau,
Leider ist des mit den Verknüpfungen oft nicht weit her. Das überlegt jede Kommission aus ihrem fachlichen Blickwinkel, oft ohne auch nur den Lehrplan des verknüpften Faches anzusehen. In Hessen gab es z.B. einmal den Vorschlag, man könne Englisch in der 11. Klasse mit Geschichte verknüpfen. Als Beispiele wurden die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung und der Vietnamkrieg genannt. Leider sah der Lehrplan in Geschichte für die 11. Klasse aber Antike und Mittelalter vor. Das Passiv wird in Deutsch laut Lehrplan unterrichtet, nachdem es in Englisch längst abgehandelt wurde. Vielleicht wäre es besser, sich mal konkret um Inhalte zu kümmern, anstatt abstrakt Mindmaps (die bei uns übrigens in der 5. Klasse in Erdkunde obligatorisch sind, obwohl das in Englisch ohnehin oft gemacht wird) und Textverarbeitung als Methodenkonzept zu verkaufen.
Ergänzend kann ich mich nur an Maiks Äußerung anschließen: so etwas ist nur „top-down“ möglich.