Warum reflektiertes Benutzen nicht reicht (ipv6)

Ich möch­te mei­nen Com­pu­ter und das Inter­net ein­fach nur benut­zen. Tech­ni­sches Ver­ständ­nis über die Vor­gän­ge hin­ter den Kulis­sen inter­es­sie­ren mich nicht. Bei mei­nem Auto wird auch nie­mand von mir ver­lan­gen, dass ich die Spur ein­stel­len oder die Zylin­der­kopf­dich­tung wech­seln kann. Um ein Auto zu fah­ren, sind Pra­xis und Kennt­nis­se über die all­ge­mei­nen Regeln des Stra­ßen­ver­kehrs aus­rei­chend. Um das Inter­net oder den Com­pu­ter zu nut­zen rei­chen Fähig­kei­ten auf ana­lo­gen Ebe­nen aus. Ich will nichts über Über­tra­gungs­pro­to­kol­le wis­sen – ich will ein­fach nutzen.“

So oder so ähn­lich las­sen sich gele­gent­lich Aus­sa­gen zur Aus­rich­tung eines medi­en­päd­ago­gi­schen Kon­zep­tes zusam­men­fas­sen, wenn es dar­um geht, wie das Inter­net genutzt wer­den soll und wel­che Kom­pe­ten­zen dafür tat­säch­lich not­wen­dig sind.

Es gibt zur Zeit einen Bereich, der evo­lu­tio­nä­ren Fort­schritt durch das Inter­net in mei­nen Augen mas­siv ver­hin­dert, weil eben vie­le Nut­zer und Leh­ren­de genau so den­ken: Ich spre­che von der Ein­füh­rung von ipv6. Was ist das?

Jedes Gerät in einem Com­pu­ter­netz­werk wird durch eine ein­deu­ti­ge Num­mer iden­ti­fi­ziert, die soge­nann­te IP. Ver­netz­te Gerä­te reden nicht durch „Domain­na­men“ wie z.B. „riecken.de“ mit­ein­an­der, son­dern erken­nen sich an einer Num­mer, die für das jewei­li­ge Gerät ein­deu­tig. Die­se Num­mer hat zur Zeit fol­gen­des Format:

xxx.xxx.xxx.xxx

Dabei ist „xxx“ eine Zahl zwi­schen 0 und 255, z.B. ist „88.198.182.180“ die IP des Rech­ners von riecken.de. Rech­ne­risch gibt es nur eine begrenz­te Anzahl von zur Ver­fü­gung ste­hen­den IPs, nämlich

4.294.967.296

Davon sind zur Zeit noch übrig:

ca. 245.000.000

Die Ver­ga­be­stel­le für IP-Adres­sen rech­net damit, dass in spä­tes­tens zwei Jah­ren der letz­te Adress­block aus die­sem Pool an einen Anbie­ter ver­ge­ben wird. Durch ein paar Tricks wie z.B. NAT las­sen sich die Adres­sen bes­ser aus­nut­zen, jedoch bringt NAT so eini­ges an ande­rem Ärger mit sich. Bei Bei­be­hal­tung des jetzt bestehen­den IPv4-Sys­tems gehen „uns“ die Adres­sen bald aus – es soll ja auch bevöl­ke­rungs­rei­che Schwel­len- und Ent­wick­lungs­län­der geben, die auch ins Inter­net wol­len.  Des­halb wur­de schon vor län­ge­rer Zeit ein neu­es Sys­tem – IPv6 – erson­nen, wel­ches die Anzahl der Gerä­te in einem Netz­werk mas­siv erhöht, näm­lich auf:

≈ 340 Sex­til­lio­nen = 3,4·1038

Jedes Han­dy, jeder Dienst auf mei­nem Ser­ver – ein­fach alles, was in einem Netz­werk hängt – könn­te eine eige­ne IP erhal­ten, wodurch vie­le, vie­le net­te Spie­le­rei­en mög­lich wür­den, für man heu­te eini­ges an Klimm­zü­gen machen muss. Vor alle das The­ma Sicher­heit wäre ein ganz ande­res, weil hin­ter jeder IP nur ein Dienst „lau­ert“, der even­tu­ell eine Angriffs­flä­che bie­tet statt heu­te z.B. bei einem popu­lä­ren Betriebs­sys­tem meh­re­re. Zer­ti­fi­kats­ba­sier­te Kom­mu­ni­ka­ti­on wäre auch ohne staat­li­che Instanz mög­lich, von Bür­gern initi­ier­te Mini­netz­wer­ke und und und..


IPv6 wird nicht ein­ge­führt. Hier nur die wich­tigs­ten Gründe:

  • Der DSL-Rou­ter des Durch­schnitts­kun­den braucht min­des­tens ein Firmware-Upgrade
  • Ein­fa­che Netz­werk­hard­ware in der Haus­in­stal­la­ti­on funk­tio­niert u.U. nach der Umstel­lung auf IPv6 nicht mehr (rich­tig)
  • Das Betriebs­sys­tem des Kun­den und sämt­li­che Soft­ware müs­sen IPv6-fähig sein
  • Jeder V- und Root­ser­ver­mie­ter muss alle sei­ne Diens­te auf IPv6 umstel­len (das Ende für con­fixx- und pleskkli­cken­de „Admi­nis­tra­to­ren“)
  • auch das Han­dy müss­te IPv6-taug­lich sein

Die Anbie­ter fürch­ten mas­siv, dass ihre Kun­den mit „all dem Kram“ nicht zurecht­kom­men wer­den und sich mas­si­ve Sup­port­stür­me ergie­ßen. Die Anbie­ter müs­sen fürch­ten, dass der „benut­zen­de Kun­de“ das ein­fach für einen Mar­ke­ting­gag der IT-Indus­trie hält und nicht ein­sieht, sich neue End­ge­rä­te anzu­schaf­fen, wenn die sei­nen sich nicht IPv6-fähig machen las­sen oder gar an sei­nem Betrieb­sys­tem Ein­stel­lun­gen ver­än­dern muss (der IE6 wird wohl damit auch nicht funk­tio­nie­ren, eben­so wie vie­le älte­re Smart­phones). IPv6 ist aber not­wen­dig, um das welt­weit zu garan­tie­ren, was im Web2.0 wie­der und wie­der pro­kla­miert wird: Per­sön­li­che Ent­fal­tung und maxi­ma­le Ver­net­zung. Aber: Lasst uns damit unbe­dingt war­ten, bis die IPv4-Adres­sen alle sind.

IPv6 wird in Schwel­len- und Ent­wick­lungs­län­dern, die neu ins Inter­net auf­bre­chen gar kein The­ma sein – es wird von Anfang an dort ein­ge­führt. Die „Wen­de im Inter­net“ ist im Bereich von IPv6 finan­zi­ell kaum ohne die Nut­zer zu schaf­fen. Tech­ni­sche Kom­pe­tenz wird dabei eine zen­tra­le Rol­le spie­len: Ich muss ein­se­hen, war­um das not­wen­dig ist und was es mir per­sön­lich bringt – schwie­rig – denn es ist schwer vor­her­zu­sa­gen, was sich die mensch­li­che Krea­ti­vi­tät für ein Sys­tem wie IPv6 ersinnt.  Ich wer­de IPv6 nicht „ein­fach nut­zen“ kön­nen, wie mein Auto, son­dern ich wer­de u.U. viel Geld für Hard­ware und Dienst­leis­tun­gen in die Hand neh­men müs­sen, wenn ich nicht bereit bin, mir die zur Umstel­lung not­wen­di­ge tech­ni­sche Kom­pe­tenz anzueignen.

Gut, dass das beim neu­en Auto ganz anders ist. Da will ich nut­zen, ich will schick und ich will Sta­tus. Ok – die XENON-Bir­ne muss in der Werk­statt gewech­selt wer­den und bei jedem Defekt wer­den gan­ze Bau­grup­pen getauscht, auch wenn das eigent­li­che klei­ne Ersatz­teil nur ein paar Euro kos­tet – aber das hat alles nichts mit der tech­ni­schen Kom­pe­tenz des Kun­den zu tun. Die Ersatz­bau­grup­pe für 800 Euro ist schließ­lich güns­ti­ger als zwei Stun­den Feh­ler­su­che eines geschul­ten Mecha­tro­ni­kers – oder?

Facebook Like

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert