Von Tapedecks und Communityaccounts
Ich recherchiere gerade recht viel in einer lokalen Community, um herauszufinden, was Jugendliche eigentlich dort genau machen, was die virtuellen „Statussymbole“ und Motivationen sind, gewisse Dinge aus dem persönlichen Leben preiszugeben. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass man Communityaccount mit „Tapedeck“ analogisieren kann.
„Tapes“, „MCs“ oder Kassetten haben heute noch ihren Stellenwert auf Flohmärkten (dort werden meist Hörspielkassetten gehandelt). Es ist ein sequentielles, analoges Medium, d.h. man muss, um zu einer bestimmten Stelle zu kommen, vor- und zurückspulen. Es gab eine Zeit, da waren Tapedecks – ein Hifibaustein zum Abspielen und Gestalten von Tapes – in meinen Kreisen extrem beliebt. Dafür ging man in den Ferien arbeiten. Topleute besaßen Tapedecks mit Echtzeitanzeige, die auch beim Spulen mitlief – gab es ab ca. 800–900DM. Mit diesen Tapedecks wurden meist von Schallplatten in liebevoller abendlicher Arbeit Sampler für gute Freunde zusammengestellt – daher war die Echtzeitanzeige auch so praktisch. Viele dieser Sampler hatten irgendeine Aussage – oder sollten eine haben, die der Adressat dann aber nicht verstand. Ein ungeschriebenes Gesetz lautete, dass man über die intendierte Message hinterher oft nicht sprach. Ich hüte heute noch ein paar tonale Schätzchen aus der Ecke – anders wäre ich nie mit Gruppen wie „CAN“, „The Band“, „Hawkwind“, „Deep Purple“, „The Doors“, „Pink Floyd“ usw. in Verbindung gekommen. Es gab Glaubenskriege um das richtige Tape – große Fraktionen waren die TDK- (SA) und Sony- (UX) Verwender. Für ganz tolle Aufnahmen, z.B. der Mitschnitt des Bob Dylan-Konzertes im Hamburger Stadtpark, musste es natürlich ein sündhaft teures Metallband (TDK MA-Serie) sein, das es bis zu einer Länge von 110 Minuten gab (und das sich ob seiner geringen Dicke gerne verhedderte). Die Elternschaft wusste von dem Treiben nichts – und verstand auch nichts von Tapedecks sowie Tapes. Und das war gut, weil es Raum zur Abgrenzung schaffte.
Community-Accounts bieten heute nach meiner Interpretation den gleichen Freiraum. Dabei geht es nicht um Peer-to-peer-Beziehungen, sondern um die Darstellung des eigenen Lebens. Toll ist derjenige, der eine Vielzahl von Fotos an einer Vielzahl von Orten aufweisen kann, der „hippe“ YouTube-Videos verlinkt, der eine Menge an Freundschaftspunkten besitzt – das ist übrigens bei vielen Erwachsenen auch so, nur heißen die Communities halt anders. Der Beziehungsstatus ist auch wichtig – mit dem passenden Umarmungsfoto dazu und am besten auch gleich noch mit dem Namen des Partners oder der Partnerin – die natürlich auch in der Community unterwegs sind. So sind die sozialen Netzwerke und Bindungen offenbar – und die Eltern wissen von dem Treiben oft nichts, so wie sie von meinen damaligen Samplern nichts wussten. In Communityaccounts steckt eine Menge Arbeit – Beziehungsarbeit und Gestaltungsarbeit – auch das ist so etwas wie ein persönlicher Sampler. Diese Arbeit kann ich anerkennen, weil ich weiß, was es bedeutet, z.B. Fotos selektiv auszuwerten, weil ich weiß, was es heißt, sich z.B. in Foren einen gewissen Status zu erarbeiten. Da ist kreative und soziale Leistung vorhanden.
Tapes verstauben in irgendwelchen Regalen, sie rufen allenfalls persönliche Erinnerungen wach. Sie sind aber für niemanden außer dem jetzigen Besitzer noch greifbar. Da bin ich bei Communityaccounts weniger zuversichtlich: Sie sind öffentlich. Eltern, Lehrer, Männer auf Brautschau – alle können sie theoretisch teilhaben an Bikinifotos, dem Sangriaeimer und dem roten Herzen, welches zeigt, dass die Accountbesitzerin gerade frisch verliebt ist. Natürlich erscheint im Profil einer 18-Jährigen, seit drei Monaten Vergebenen, gleich ein Popup mit Werbung eines Herstellers für Verhütungsmittel – bestimmt ein Zufall.
Solange mir die gleichen Schülerinnen und Schüler nichts von ihrer kritischen Sicht zum Thema Vorratsdatenspeicherung, Zensurmaßnahmen usw. erzählen, finde ich das Verhalten konsequent. Vielleicht habe ich mit meiner Recherche einen Fehler gemacht und Dinge gesehen, die weder für mich gedacht waren, noch in dieser Weise hätten interpretiert werden dürfen. Es wird mich viel Zurückhaltung kosten, diese Dinge nicht zu thematisieren – SuS wissen, dass ich zu gerne über so etwas rede. Es ist aber so leicht: Die Intention des gerade verschenkten Samplers an Person X hätten meine Eltern nie aus mir herausgefragt. Heute muss da nichts mehr herausgefragt werden – da reicht ein Abend vor dem PC und ich kenne die Bindungen und positiven Gefühle von Person Z. Kein Geheimnis im erlebten Spaß und Fun.
Die Tiefen, die existentiellen Ängste werden nicht zur Schau gestellt – und das macht mir wieder und wieder Mut (Oder sind sie nicht schlicht und ergreifend „Statussymbol“ genug?).
So liebe SuS:
Solange das noch so bleibt, solange dürft ihre eure virtuellen Tapedecks behalten, aber ich gelobe von nun an, mir eure Sampler nicht mehr anzusehen und anzuhören. Höchstens zu Recherchezwecken.