Von deutscher Baukunst
Goethe beschreibt innerhalb dieses Textes die Wahrnehmung eines Ich-Erzählers in Bezug auf das Straßburger Münster. Er nutzt die persönlichen Empfindungen seines generierten Erzählerfigur, um anhand dieser das Verständnis von Kunst im Sturm und Drang zu erläutern. Wir wollen der Einfachheit zunächst annehmen, dass Ich-Erzähler und Goethe ein und dieselbe Person sind, d.h. dass dieser Text rein autobiographisch zu verstehen ist – meiner Meinung nach spricht da das eine oder andere gegen.
Goethe betont zunächst, dass er wie alle zu seiner „ein abgesagter Feind der verworrenen Willkürlichkeiten gotischer Verzierungen“ sei und somit auch das gotische Münster des Baumeisters Erwin von Steinbach eigentlich hätte ablehnen müssen. Doch Goethe ist überrascht von seinem Eindruck dieses Gotteshauses, weil selbiges „aus tausend harmonierenden Einzelheiten bestand“. Er rückt seine Empfindungen sogar in die Nähe „himmlisch-irdische[r] Freude“, konnotiert sie also durchaus religiös.
Um dieser Empfindung noch größeren Ausdruck zu verleihen greift er zu einem dramaturgischen Mittel: Er generiert fiktiv die Stimme Steinbachs, die zu ihm spricht und ihm das Kunstwerk des Münster erläutert. Dadurch fühlt sich der Goethes des Textes sowohl mit dem Künstler und seinem Kunstwerk, jedoch auch wiederum mit der „ewigen Natur“ verbunden, die für ihn Vorlage bei der Errichtung des Kirchengebäudes gewesen ist.
Der Kitt, der die Einzelheiten des Münsters zusammenhält, ist für Goethe die Empfindung des Künstlers während seiner Erschaffung. Wahre Kunst ersteht eben dann, wenn diese Empfindung für den Kunstrezipienten erfahrbar wird. Somit kann auch der „Wilde mit abenteuerlichen Zügen, gräßlichen Gestalten“ ein Künstler sein, der Kunst aus seiner Empfindung heraus schafft. Denn nur die „eine Empfindung“ führt für Goethe zu „zum charakteristischen Ganzen“.
Thematisch wendet sich Goethe nun im letzten Abschnitt der richtigen Quelle einer Empfindung zu. Diese muss nämlich dem Rezipienten ermöglichen, sich zu den Gefühl der Verhältnisse zu erheben, „die allein schön und von Ewigkeit sind“. Dann wird der Künstler zu einem „Gesalbten Gottes“ – wieder eine religiöse Metapher.
Um die religiöse Dimension des Textes letztlich zu verstehen – die hat nur wenig mit dem christlichen Gottesbild zu tun – muss man eigentlich ein paar Worte zum Pantheismus verlieren, was hier aber zu weit führen würde… Flach gesagt: Natur und Gott sind Eins. Natur ist Gott und Gott ist Natur.
Zusammenfassung:
Für Goethe entsteht Kunst, wenn ein Künstler eine göttliche Empfindung von allgemeiner Gültigkeit innerhalb eines Kunstwerkes so transportiert, dass der Rezipient, der Betrachter des Kunstwerkes, ebendiese Empfindung selbst verspürt und damit ebenfalls in die Nähe dieses göttlichen Prinzips gelangt. Allein diese Empfindung ist ausreichend, um charakteristische Kunst zu schaffen – das kann es auch ein gotisches Verzierungwirrwarr oder die Gesichtsbemalung eines Ureinwohners sein.
Jetzt hängt noch ein Faden aus der Einleitung dieses Textes hier lose heraus: Warum glaube ich nicht an einen rein autobiographischen Charakter des Textes? Ich sehe in dem Text zwei Ebenen.
1. Ebene:
Der Künstler Steinbach schafft aus einer göttlichen Empfindung heraus das Kunstwerk „Straßburger Münster“, welches den Rezipienten Goethe dazu veranlasst, diesen Text über das Kunstideal des Sturm und Drang zu schreiben.
2. Ebene:
Der Künstler Goethe schafft aus einer erhabenen Empfindung beim Anblick des Münster heraus das Kunstwerk „Aufsatz ‚Von deutscher Baukunst‘ “, welchen ein Leser rezipiert und dabei gleichzeitig die Empfindungen Goethes beim Anblick des Münsters wahrnimmt.
Damit ist der Text das, was er zu erklären versucht, er referenzialiert sich quasi selbst. Der Text schreibt darüber, was Kunst im Sturm und Drang sein soll und erfüllt gleichzeitig alle Kriterien, die er selbst formuliert. Damit ist es ein Kunsttext und für mich tun sich dadurch Zweifel auf, ob hier von einem rein authentisch-autobiographischen Goethe die Rede ist. Eventuell ist dieser Goethe des Textes, dieser Ich-Erzähler genau zu einem bestimmten Zweck generiert worden (von dem realen Goethe, den man leider nicht mehr fragen kann…).
In der Theorie der kollektiven Wissenskontruktion im Internet könnte man sogar formulieren: Steinbach war ein Neuron, dass durch sein Wissenswerk „Münster“ das Neuron „Goethe“ zur Schaffung von neuem Wissen angeregt hat – hm, sehr weit hergeholt…
Hallo Maik!
Erst einmal ein großes Lob! Ich schreibe morgen eine wichtige Deutsch-Klausur, u.a. über dieses Thema und bevor ich diese Seite aufgerufen habe, hatte ich echt nichts von dem text verstanden (oder zumindest wenig).
Es gibt wenige Zeichensetzungsfehler (z.B. 3. Absatz Z.1 Ende) und auch sonst eher wenige Tippfehler (z.B. 3. Absatz Mitte).
Gute Arbeit, wirklich! Auch den Schluss mit den zwei Ebenen find ich gut (weiter)gedacht und prima gelungen:)
Weiter so,
Kirby
Hallo Kirby,
Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler korrigiere ich nach einmaliger Durchsicht nicht mehr – man kann „nebenbei“ auf diese Weise nämlich ganz gut feststellen, wann jemand klaut. Trotzdem danke für den Hinweis.
viel Glück bei deiner Klausur morgen!
Hallo Maik!
Ersteinmal vielen Dank für den Text bzw. die gesamte Seite, das ist alles wirklich sehr hilfreich, allein schon, um mal mit den eigenen Gedanken zu vergleichen und vielleicht neue Ideen zu erhalten :)
Eine Frage habe ich allerdings: Was meinen Sie damit, wenn Sie schreiben, dass die Quelle der Empfindung des Künstlers dem Rezipienten „sich zu den Gefühl der Verhältnisse zu erheben“ ermöglichen soll?
Liebe Grüße,
Johanna
Hallo Johanna,
Du hast zu wenig zitiert, der Satz geht ja weiter: Zu dem Verhältnis erheben, das allein schön und ewig ist.
Platt gesagt:
In den Status geraten, in dem man das wahrhaftig Schöne erkennt fühlt. Hat ein wenig was von Trunkenheit…
Ich musste aber auch eine ganze Weile überlegen, was ich damit wohl gemeint habe.
Hallo! Morgen schreibe ich meine Deutsch-Abiturklausur, und dieser zusammenfassende Kommentar war wirklich sehr hilfreich zur Vorbereitung – dankeschön!