Macht und Schule
Diejenigen, die die Gabe haben, die Macht effektiv anzuwenden, besitzen meisterhafte Kräfte, wie Telepathie, Telekinese, Vorherwissen und geistige Beeinflussung anderer Lebewesen. In der Originaltrilogie wurden zwei Aspekte der Macht hervorgehoben: Die helle und die dunkle Seite. Die helle Seite der Macht ist auf Verteidigung, Gutmütigkeit, Wohlwollen und Heilung ausgerichtet. Die dunkle Seite der Macht beschäftigt sich dagegen mit Furcht, Hass, Aggression und Boshaftigkeit; diese Seite der Macht scheint von Hass und Wut kontrolliert zu werden – diese Wirkung ist weit effektiver und mächtiger in Bezug auf Vernichtung. Meister Yoda, der eine führende Rolle unter den Jedi-Rittern inne hatte, bezeichnet in Star Wars V die dunkle Seite der Macht als schneller und verlockender als die helle. In den Filmen erlangen jedoch einige Jedi die Unsterblichkeit, was den Sith der dunklen Seite offenbar verschlossen blieb.
An der Schule kommt es mir so vor, als hätte ich selbst oft mit den beiden Seiten der Macht zu tun. Schule ist für mich ein Raum, der in sehr hohem Maße durch Machtstrukturen gekennzeichnet ist.
Die institutionelle Macht
Schule ist im Prinzip hierarchisch organisiert. Es gibt z.B. Aushilfslehrer, KuK mit Lebenszeitverbeamtung, KuK in der Schulleitung, KuK ohne Lebenszeitverbeamtung, angestellte LuL, Dezernenten, einen Schulleiter usw. – ach ja: SuS gibt es ja auch noch. Sie alle sind eingebunden in ein Gefüge institutioneller Machtstrukturen, die im Prinzip nicht flüchtig sind – es sei denn bei grobem und öffentlichen Fehlverhalten eines Protagonisten. Diese hierachische Ausrichtung ist zum einen der Garant für die bloße Funktion von Schule. Andererseits führt sie bei allen Beteiligten auch oft genug zu Ohnmachtsgefühlen.
Diese Form der Macht wird für mich z.B. spürbar, wenn
- Eltern mit Lehrkräften aus Angst vor schlechten Noten für ihre Kinder nicht in der Deutlichkeit reden, die rein logisch notwendig wäre
- Ich mich ohne Lebenszeitverbeamtung anders an der Schule bewege als mit
- SuS, die sich ungerecht behandelt fühlen, das aus Sorge um ihr Ansehen bei der Lehrkraft nicht äußern
- Weisungen durch die Schuleitung erfolgen
- Noten erteilt werden
- usw.
Die ideelle Macht
Es gibt immer wieder Menschen, die sich durch besondere Fähigkeiten an einer Schule hervortun. Das kann besonderes soziales Engagement, eine besondere pädagogische Fähigkeit, gewissenhafte Pflichterfüllung die Übernahme einer unangenehmen, aber notwendigen Aufgabe u.v.m. sein. Das System „Schule“ wäre ohne solche Menschen um ein ganzes Stück weniger bunt, attraktiv und nicht zuletzt ärmer an Menschlichkeit. Schüler, Lehrer und Eltern können sich in diesem ideellen Machtrahmen bewegen. Diese ideelle Macht ist u.U. sehr flüchtig, da sie im Bezugsrahmen des sie umgebenden instutionellen Rahmens agieren muss.
Diese Form der Macht wird für mich z.B. spürbar, wenn
- KuK sich in Fachschaften durchsetzen können, weil ihre fachliche Kompetenz unumstritten ist und ihre Meinung daher Gewicht erhält
- KuK die Schulleitung in kniffligen Fällen beraten
- KuK gemeinsam mit der Schulleitung Schule gestalten
- KuK im Kollegium als moralische Instanz auftreten
- SuS oder Eltern Impulse geben, die von der Schule aufgenommen werden
- usw.
Die dunkle Seite der Macht
Mitglieder aus der Schulleitung können oft ein Lied davon singen, dass Ihnen das sogenannte A15er-Gen unterstellt wird. Grob gesprochen sind damit Eigenschaften wie Herrschsucht, mangelnde Nähe zu den KuK, Arroganz usw. gemeint. Vielleicht trifft das in Teilen auf das ein oder andere Mitglied einer Schulleitung zu, vielleicht ist das aber auch ein Problem der Wahrnehmung, da die Perspektive von Schulleitung und Kollegium natürlicher Weise eine andere ist. Vielleicht ist die Wahrheit eine Mischung, vielleicht auch nicht.
Es liegt im Wesen einer institutionellen Hierarchie, dass nicht alle Vorgänge innerhalb des Systems hinreichend transparent sind (und es auch nicht immer sein dürfen, wenn z.B. Persönlichkeitsrechte einzelner KuK oder SuS berührt sind). Fest steht, dass derjenige, der über institutionelle Macht verfügt, immer in der Kritik steht und immer in der persönlichen Distanz zu denjenigen, über die er in irgendeiner Form Macht ausübt. Oft kommt Schulleitung aus dem Kollegium selbst, was ein Problem sein kann, da Grenzen zu ehemaligen Mitstreitern neu gezogen werden müssen – ein bestimmt schmerzvoller Vorgang für beide Seiten. Das kann zu Auswüchsen im Bereich der dunklen Seite der Macht führen, muss aber nicht.
Auch ideelle Macht ist gefährdet für die dunkle Seite. Ich kann bei der notwendigen Kritik gegenüber Machthabenden (institutionell) jedwede Menschlichkeit ausschalten, indem ich z.B. nicht bilateral und anlassbezogen kritisiere, sondern z.B. Gerüchte streue oder bewusst innerhalb des Kollegiums Stimmung mache. Stelle ich mich dabei geschickt an, kann das einer Schulleitung schwer zu schaffen machen, stelle ich mich ungeschickt an, verliere ich meine ideelle Macht sehr schnell, weil ich unglaubwürdig bin. Das kann auch geschehen, wenn ich aus irgendeinen Grund, die Gunst der institutionellen Macht verliere oder mir der Rückhalt z.B. im Kollegium wegbricht.
Die helle Seite der Macht
Als Schulleitung kann ich gestalten. Ich kann ein Kollegium führen, wenn ich dazu bereit bin. Ich kann mir auch gestatten, moralisch zu sein und ein bestimmtes Verhalten einzufordern. Im Prinzip bin ich weisungsbefugt. Freilich kann ich gegen ein Kollegium, welches gegen mich arbeitet, nur sehr schwer etwas ausrichten. Freilich kann ich auch nicht riskieren, die Träger ideeller Macht gegen mich aufzubringen, da Schule dann weniger bunt, attraktiv usw. ist. Meine Macht hat hier Grenzen, ist aber im Prinzip nicht flüchtig. Nicht zuletzt befriedigt die bloße Tatsache, über Macht zu verfügen, ein Grundbedürfnis von uns Menschen. Das gilt für die Inhaber ideeller Macht genau so: Auch ein solcher wird Befriedigung aus der Tatsache ziehen, dass er gehört wird, etwas bewirken kann usw.
Die Grundfrage
Ich erlebe es selten, dass in Inhaber umfassender ideeller Macht institutionelle Machtpositionen anstreben, auch wenn sie alle Kompetenzen dafür besitzen. Das ist – wie ich finde – nicht nur im Bereich der Schule so. Auch in der Politik, in der Wirtschaft usw. wird man dieses Phänomen beobachten können. Ich fasse das polemisch gerne in dem Ausspruch zusammen:
„Die Kompetenz zieht sich zurück. Sie kritisiert Macht auf oft hohen geistigen Niveau, aber sie übernimmt nicht die notwendige institutionelle Verantwortung. Gleichzeitig beklagt sie, dass ‚dieses Land‘ moralisch verkommt.“
Ich glaube, dass ein Grund darin zu suchen ist, dass sie um die Existenz der dunklen Seite der Macht wissen und dass sie auch wissen, dass man sich ihren Verlockungen in einer verantwortungsvollen Position nur schwer entziehen kann.
„Es gibt immer wieder Menschen, die sich durch besondere Fähigkeiten an einer Schule hervortun. Das kann besonderes soziales Engagement, eine besondere pädagogische Fähigkeit, gewissenhafte Pflichterfüllung die Übernahme einer unangenehmen, aber notwendigen Aufgabe u.v.m. sein.“
In einem Blogeintrag hatte ich mich auf diese („ideelle“) Macht bezogen und sie als flüchtig bezeichnet. Diese Form von Macht muss immer wieder erobert werden, weil die Menschen (Schüler, Kollegen, Vorgesetzte) hohe Erwartungen an diesen Lehrern haben und bei Enttäuschungen sehr schnell ihr Vertrauen entziehen. Wenn Schüler einen Lehrer achten und mögen, beispielsweise, genügen ein paar Stunden, in denen der Betreffende weniger gut vorbereitet ist, krank oder müde, um seine Beliebtheit rasch nach unten sinken zu lassen. Dieses Phänomen gilt weniger für Menschen, die durch ihr Amt über institutionelle Macht verfügen.
Sehr interessante Anregungen zum vertieften Nachdenken!
Ergänzend muss man anmerken: Es gibt einen weiten Bereich in der Schule, in dem einem Lehrer „Macht“ nichts, aber auch gar nichts nützt. Dabei geht es um die Motivation, Konzentration und intellektuelle Leistungsbereitschaft und ‑fähigkeit der Schüler. Einen Teil davon kann ich beeinflussen durch gute Vorbereitung, gute Erklärung, Schaffung eines guten Lernklimas. Ein großer Teil liegt außerhalb der Reichweite des Lehrers: Was der Schüler tatsächlich lernt, behält und in Prüfungssituationen anwenden kann.
Ich finde: Jein. An einem Gymnasium kann ich z.B. bestimmte Dinge als Lehrer auch erzwingen oder gezielt mit Angst arbeiten – weil ich theoretisch nicht leistungsbereite SuS „auslesen“ kann. Über den Lernerfolg und die pädagogische Ausrichtung, bzw. das zugrundeliegende Menschenbild bei einem ausschließlich solchen Vorgehen lässt sich natürlich trefflich streiten. Nutzen wir z.B. diese Macht qua Amt eigentlich oft genug, um lernbereite SuS vor den „anderen“ zu schützen? Lernen unter Zwang funktioniert übrigens auch manchmal – Ich habe für ein halbes Jahr extrem autoritären Französischunterricht genossen, der hochgradig angstbesetzt und machtdurchsetzt war: Ich kann noch fast alles (es ist über 20 Jahre her). Freude gab es da keine und die einzige Motivation zum Lernen bestand für mich darin, nicht vor Klasse zur Schnecke gemacht zu werden.
Interessanter Weise steigen mit Indien und China gerade zwei Nationen auf, die nicht unbedingt immer für fortschrittliche Pädagogik bekannt sind.
Ich habe Französisch damals noch ein halbes Jahr länger mitgemacht. Ich erinnere vor allen Dingen, dass ich meine Leistung komplett anders einschätzte, als jene Lehrkraft: Ich fand mich anfangs gar nicht mal so schlecht, aber bei Dingen, die mir nicht sofort zufielen, hatte die Lehrkraft überhaupt keine Geduld, machte einen dann „zur Schnecke“ -> Verweigerungshaltung bei mir. Da F3 komplett freiwillig war, war ich anfangs hochmotiviert. Hat sich durch den Unterrichtsstil dann aber komplett gegeben.
Ich erinnere mich noch daran, wie besagte Lehrkraft – Rücken zum Auditorium – einen üblichen Meckeranfall bekam, der sich – ebenfalls üblich – gezielt gegen einen bestimmten Mitschüler richtete, der ja „immer“ störte – an eben jenem Tag aber gar nicht anwesend war. Ich glaube, das war das einzige Mal, dass in dem Unterricht gelacht wurde.
Vor einigen Jahren habe ich am pädagogischen Institut neben dem, in dem wir Französisch nicht gelernt haben, mal in einem meiner ersten Praktika in einer Englisch-Stunde hospitiert, die genau so ablief. Die andere Hospitantin und ich haben nachher nur zugesehen, dass wir garantiert nie wieder bei dieser Lehrkraft landen.
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Noch zum Thema ideelle und institutionelle Macht: In einem Bereich, der auch mit Unterrichten zu tun hat, war ich jahrelang in einer institutionellen Machtposition. Zugleich denke ich, dass mir dort auch ideelle Macht zugerechnet wurde (und wird). Ich habe mich in der Zeit, in der ich institutionell eingebunden war, in der Auslebung dessen, was meine ideelle Macht ausmacht, deutlich gehemmt gefühlt. Wenn ich eine Idee hatte, die ich klasse fand, konnte ich sie nicht einfach so ohne weiteres ausprobieren (bzw. nur in deutlich kleinerem Umfang); wenn ich sie richtig umsetzen wollte, ging es mit durch so viele Hände und wurde zT zerredet oder fiel Prozessen zum Opfer, in denen institutionelle Macht andere in ihrem Handeln beeinflussen sollte, um bestimmte Hierarchien zu begünstigen. Meine Motivation ging in den Keller, meine Arbeitsergebnisse in meiner institutionellen Funktion wurden – zumindest aus meiner Sicht – miserabel. Schließlich ging ich.
Es hat zwar eine Weile gedauert, aber so langsam kommt meine Motivation wieder, ich stelle wieder Dinge auf die Beine, die mir auch Spaß machen – gerade weil ich frei von den (zumindest von mir so empfundenen) institutionellen Bindungen bin.
Zur Verteidigung derer, die sich eben nicht einbringen: Vielleicht wissen sie, dass es mit ihrer ideellen Macht (und damit mir ihrer Motivation und Selbst-Zufriedenheit) vorbei sein könnte, wenn sie versuchen, das gleiche auf einer institutionellen Ebene zu machen, weil dann eventuell der entscheidende Freiheitsgrad fehlt.
„Zur Verteidigung derer, die sich eben nicht einbringen: Vielleicht wissen sie, dass es mit ihrer ideellen Macht (und damit mir ihrer Motivation und Selbst-Zufriedenheit) vorbei sein könnte, wenn sie versuchen, das gleiche auf einer institutionellen Ebene zu machen, weil dann eventuell der entscheidende Freiheitsgrad fehlt.“
D’accord – es bringt uns als Gesellschaft jedoch nicht weiter. Denn die Grundfrage bleibt: Sind Veränderungen in diesem Land auf rein ideellen Positionen möglich? Sie es nicht immer wieder gerade die ideellen Kräfte, die diese Veränderungen fordern? Ist dieses Land nach dem Krieg nicht in entscheidendem Maße durch Personen mit institutioneller Macht und(!) Leitungswillen geprägt worden?
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