Moodle – ein Lehrendensubstitut?
Große Hoffnungen werden zur Zeit in das LMS „Moodle“ gesetzt. Stichworte wie „Schüleraktivierung“, „Dokumentierbarkeit von Schülerleistungen“ und „Weg vom klassischen Frontalunterricht“ machen unter Moodlenutzern die Runde. Und tatsächlich: Sinnvoll als methodische Ergänzung zum eigenen Unterricht eingesetzt, leistet Moodle genau das.
Moodle birgt aber auch die Gefahr einer großen Verführung für den Lehrenden: Schließlich setzt er Moodle ein, ist damit schon „modern“ und kann sich dadurch effektiv innerhalb eines Kollegiums profilieren. So wird gerade zu Anfang der Moodlenutzung vergessen, dass Schülerinnen und Schüler gerade aus einem ganz bestimmten Grund in die Schule – also in ein Gebäude außerhalb der eigenen vier Wände – gehen: Soziale Kontakte und Lernatmosphäre. Ich mache die Erfahrung, dass ich von Menschen, denen ich vertraue und die ich für integer halte, schneller und besser lerne, als von anderen Persönlichkeitstypen. Wie sieht es mit der Persönlichkeit eines Rechners aus?
Flüchten wir als Lehrende nicht oft genug ein stückweit vor der pädagogischen Verantwortung, wenn wir z.B. am Freitag in der 5. oder 6. Stunde in den Computerraum gehen und dort den Schülerinnen und Schülern statt vorbereiteter, anfassbarer Materialien und echten Diskussionen PDFs und virtuelle Kontakte bieten? Was unterscheidet ein solches Lernen eigentlich von dem Einschieben einer Lern-CD in den heimischen PC?
Ein guter Lehrer wird nicht einfach den Satz „Nun sucht einmal im Internet zum Begriff…“ durch eine Materialienanhäufung innerhalb eines Moodlekurses ersetzen – vielleicht sogar noch mit einem Wiki dabei, in das die im Netz gefundenen Ergebnisse per Drag’n Drop eingefügt werden. Er wird sich und seine Lernkontrollen nicht vollständig durch das Testmodul von Moodle substituieren.
Er wird Moodle vor allem als Instrument der Kommunikation außerhalb des Unterrichts entwickeln – das größte Potential sehe ich hierbei in der Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen, angefangen vom zwanglosen Materialaustausch bis hin zur gemeinsamen Verwaltung von Terminen oder der dem fachlichen Austausch.
Wenn Moodle der Lehrende wird, ist Moodle schlecht und falsch verstanden eingesetzt. Moodle muss und darf lediglich das Instrument des Lehrenden sein.
Moodle wird niemals Lehrernder sein.
Moodle ist ein System, dass nach den eigenen Worten von Martin Dougiamas, Begründer und Chefentwickler der Community entwickelt wurde, um Lernprozesse zu gestalten.
Für Martin Dougiamas hat die höchste Priorität dabei das „Fragen stellen“. Das hat er auf der Moodlemoot08 in seiner Keynote deutlich herausgestellt.
Allem Handeln bei dieser Intention liegt dabei Kommunikation zugrunde. Fragen werden von Menschen gestellt und ihre Antworten formulieren wiederum Menschen. Auf dem Weg dorthin konstruieren sie Infomationen, Wege, Lösungen um zu diesen Antworten zu gelangen.
Der Power, der in Moodle steckt, drückt sich in dem Maße aus, indem die Gestaltung von Lernprozessen eine Fragen beantwortende Kommunikation hervorbringt. Moodle ist eine Lernumgebung, die zwischen dem Klassenraum und zahlreichen anderen eigenen Arbeitsplätzen Verbindung, Interaktion und Identität stiftet.
Für LehrerInnen und SchülerInnen heißt das, die Lernprozesse in die eigene Hand zu nehmen. Moodle bietet ein Instrument und eine Community dazu, die länderübergreifend und ständig wachsend ist.
Die Chancen von, durch und mit Moodle sind für viele eine große Herausforderung. Ohne Herausforderung gibt es für Menschen keine Veränderung. Moodle hat den Power, Menschen zusammenzubringen.
D. Anschlag
„Wenn Moodle der Lehrende wird, ist Moodle schlecht und falsch verstanden eingesetzt.“
Entscheidend ist meiner Meinung nach nicht wie ein System gemeint ist: Entscheidend ist, wie es tatsächlich verwendet wird. Moodle ist immer nur so gut, wie der Lehrende, der mit Moodle arbeitet. Es ist nicht aus sich selbst heraus automatisch „gut“ – daher finde ich die Berichterstattung um Moodle in diesem Punkt noch insgesamt recht unkritisch. Das gilt in meiner Welt übrigens für jedes LMS oder für jede Form des Einsatzes von Internet im Unterricht.
Hallo Detlef,
„Moodle ist ein System, […] um Lernprozesse zu gestalten. Für Martin Dougiamas hat die höchste Priorität dabei das “Fragen stellenâ€.
Ich denke es gehört hier noch ein Punkt dazu, der zumindest für mich sehr wichtig ist.
– Wer stellt die Fragen und wer gestaltet den Lernprozess?
Martin Dougiamas sieht in seinem ‚Überbau‘ für die Moodleentwicklung, dass die Rollen von Lernendem und Lehrenden (aus-)tauschbar sind und aus der gegenseitigen Beobachtung und Reflexion über das Handelns eine Entwicklung und damit ein Lernprozess entsteht.
Das prägt die Entwicklung von Moodle, seine Flexibilität und die Möglichkeit Feedback an allen Ecken und Enden zu geben.
Ein Lehrer kann mit Hilfe von Moodle einen Lehrprozess gestaltet. Der Schüler entscheidet, ob es für ihn/sie ein geeigneter Lernprozess wird. Wobei natürlich die Schüler/innen immer etwas lernen, aber nicht gesagt ist, ob dies das ist, was der Lehrer lehren wollte.
Gerade instruktionale LMS-Konzepte (in Differenz zu konstruktivistischen) beanspruchen, den Lernprozess zu gestalten und meinen damit ihn für die Lernenden als verbindlichen Pfad vorzudefinieren. Und davon grenzt sich das Moodle-Konzept ab. (Ich bin mir darüber im Klaren, dass der pädagogische Diskurs instruktivistische und konstruktivistische Ansätze gleichermaßen als wertvoll betrachtet. Ich erlaube mir daher auch Vorträge zu halten.)
Ich stimme Martin D. zu, dass Fragen wichtig sind. Der lehrerzentrierte fragende Unterricht ist aber ein Teil des Dilemmas vieler Unterrichtssituationen. Die Fragen sind nicht ergebnis- und erkenntnisoffen.
Ein wirklich konstruktivistischer Unterricht lässt Fragen beim Lernenden entstehen und diesen losziehen, um mit anderen darauf Antworten zu finden. Was tut dann der Lehrer? Das wisst Ihr beiden (Maik und du) besser als ich, da ihr täglich in der Schule vor der Klasse oder mitten in der Klasse steht.
Meine Situation (meist mit Erwachsenen) ist da eine andere. Wenn auch meine Beratungsaufgabe häufig ganz ähnlich ist immer dann nämlich wenn ich durch Fragen neue Erkenntnisse enstehen lassen muss, deren Antworten ich nicht kenne, da mir der Verwertungskontext meiner Kunden nicht im Detail bekannt ist.
In meinen Einführungen zu Moodle habe ich eine Folie auf der ich Frank McCourt zitiere (Autor von „Die Asche meiner Muttter“). In dem Band seines Lebensrückblicks in dem er über 30 Jahre Tätigkeit als Lehrer schreibt, heißt es an einer Stelle sinngemäß:
‚Meine lieben Schüler, ich weiß nicht ob ihr im Laufe des Semesters etwas lernen werdet, aber ich in mir ganz sicher, dass es hier einen geben wird, der etwas lernen wird, und das meine lieben Freunde, das bin ich.“
Wann haben wir als Lehrende zuletzt etwas gelernt und sind uns darüber bewusst? Ich hoffe gerade erst gestern.
Ralf Hilgenstock
Ich behaupte einmal ganz frech, dass diese Gedanken innerhalb des deutschen Schulsystems in absoluten Kinderschuhen stecken. Meinen Oberstufenschülern und – schülerinnen mache ich gelegentlich anhand meiner Stunden bewusst, dass Unterricht in Deutschland in der Regel nur eine Illusion darstellt. Ich suggeriere den SuS, dass sie in dieser Stunde etwas Neues selbstständig lernen.
Sie tun es aber wahrhaftig nicht, da das Lernziel oder die Kompetenz (oder mit welchen anderen Worthülsen die jeweiligen Lernplanmacher ihre Curricula meist ideologisch eingefärbt schreiben) von vorn herein feststeht. SuS sind auch unbewusst genau so konditioniert.
Eine gute Stunde ist in den Augen von Bewertenden meist, wenn ebendieses Illusion möglich perfekt gestaltet ist. Die Fähigkeit, eigene Lernwege zu entwickeln, muss erlernt werden und schizophrenerweise bedarf es eben dafür auch gewisser Grundkentnisse, die sich am effektivsten durch vorgegebene Lernwege erreichen lassen.
Du hast es in dieser Hinsicht als Freiberufler leichter und schwerer. Auch ich lerne von meinen SuS – besonders dann, wenn ich Mist baue (und das erkenne), oder wenn Frau X wieder einmal ihrer vermeintlich leichten Fragen stellt, die kein Lehrbuch beantwortet und die mich zwingen etwas wissen zu wollen.
Du hast es leichter, weil du dich außerhalb generalisierender instutioneller Rahmen bewegen kannst, bzw. immer wieder neuen Rahmen begegnest. Du hast es schwerer, weil du nicht eindimensional Routine entwickeln kannst, sondern dich stets auf neue Systeme einstellen musst. Meine aus Routine gewonnenen Freiheit fressen steigenden Schülerzahlen in Lerngruppen und andere Dinge (z.B. Dokumentationsverordnungen) auf. Ich sehe meine Defizite, habe aber keine Ressourcen ihnen zu begegnen. Suche zusätzlich einmal derartige Diskussionen innerhalb von Lehrerfortbildung. Wenn du was findest – lass‘ es mich wissen.
Da schließt sich der Kreis: Um Moodle konstruktivistisch zu nutzen, musst du dir vieler Aspekte bewusst sein und du musst Ressourcen besitzen, dich zu entwickeln. Werkzeuge zum in den Schrank hängen haben wir Lehrerinnen und Lehrer wahrlich genug. Die kauft man einmal, weist auf sie hin und ist dann durch damit.
Der eigentliche Hebelpunkt sitzt aber ganz woanders. Und richtig eingesetzt führt dieser Hebel dann tatsächlich zu einer Veränderung von Unterrichtskultur auch mit Moodle. Aber es fängt eben nicht bei Moodle an.
Hallo Maik,
„Kinderschuhe“ ist das Stichwort, welches ich aufgreife. Wenn ich in die Grundschulen schaue sehe ich Vieles umgesetzt. „Stationenlernen“, „Wochenarbeitspläne“ u.v.m. sind Beispiele dafür wie man Unterricht anders ansetzen kann.
Ich erinnere mich an eine Diskussion mit einer Klassenlehrerin in der 8. Klasse (Gym.) bei meinem Sohn. Sie meinte, mit den heutigen Schülern könne man bei 30 Schülern keine Gruppenarbeit machen. Mein Angebot, sie in der Klasse zu unterstützen, musste sie natürlich ablehnen.
Hier war ganz klassisch ein Fall von „Verlernen – Entlernen“ eingetreten. In der Grundschule war Gruppenarbeit, Selbstarbeit, Eigenverantwortung übernehmen ganz selbstverständlich gewesen. Im Gymnasium war dies an einem Projekttag im Jahr gefordert. Über drei Schuljahre war diese Arbeitsweise bei den Schülern verschüttet.
Niemand kann mir erklären, dass etwas was bei 6–10 jährigen in Gruppen von 20–25 SuS möglich ist, nicht auch bei 30 13–15 jährigen möglich ist. Trotz Pubertät.
Eigentlich wäre es etwas leichtes, die Unterrichtskultur der Grundschule mit angepassten Methoden in der Sekundarstufe weiterzuführen.
Ich denke, es geht mehr um eine Lehrkultur und häufig auch um eine Leitungskultur.
„Eigentlich wäre es etwas leichtes, die Unterrichtskultur der Grundschule mit angepassten Methoden in der Sekundarstufe weiterzuführen.“
Bei mir darfst du gerne im Unterricht helfen :o)… Es darf mich auch gerne jemand eine Woche lang im Unterricht begleiten, wenn er verspricht, sich nur dann eine Pause zu gönnen, wenn ich eine habe. Ich kann in Hinsicht auf Ratschläge für die Schule auch nur Leute so richtig didaktisch ernstnehmen, die das System aus Lehrendensicht erlebt haben (mindestens 1 Jahr Vollzeittätigkeit) – ich habe bisher wenig bis ganz wenig schulpraktisch Brauchbares von Leuten gesehen, die über diese Erfahrung nicht verfügten. Und dann sage mir:
„Eigentlich wäre es etwas leichtes, die Unterrichtskultur der Grundschule mit angepassten Methoden in der Sekundarstufe weiterzuführen.“
und sage mir wie und wo die Ressourcen für die notwendige Vorbereitung sind. Sie liegen wahrscheinlich in der Zusammenarbeit der Lehrkräfte (die Raum braucht im Sinne von Räumen und Zeit – beides gibt es nicht) und das geht unsere Schule jetzt an (auch mit Moodle – zumindest ein virtueller Raum, Zeit wird dadurch erstmal nicht gespart). Aber der Weg ist lang.
Du greifst ein typisches Argument auf, indem du bestimmte Methoden (Gruppenarbeit/Wochenarbeitspläne) ins Feld führst. Ich stimme dir vollkommen darin zu, dass in der Grundschule methodisches Lernen viel mehr im Mittelpunkt steht als z.B. an den altehrwürdigen Gymnasien. Mir fällt aber auch auf, dass die fachlichen Leistungen der ankommenden Grundschüler in den kurzen Jahren meiner Dienstzeit immer desolater werden. Ich möchte hier nicht den Fehler machen und sagen, dass Gruppen- und Freiarbeit daran schuld sind – diese Defizite können wir im G8-Kontext jedoch kaum mit Gruppen- oder Freiarbeit wieder auffangen, sondern laufen dann gewissermaßen im „Notprogramm“ – autoritäre Systeme (dazu gehört Frontalunterricht) funktionieren immer.
Ganz platt gesagt sieht meine Meinung dazu mittlerweile so aus: Wer nicht in der Lage ist, im Alter von zehn bis elf Jahren ansatzweise zu schwimmen, beim Kuchenbacken zu helfen, mehrere Dinge einzukaufen, komplexere Bewegungsabläufe (Streichholzanzünden) zu beherrschen (und diverse Beispiele mehr), dem muss ich auch nicht mit Gruppen- oder Freiarbeit kommen. Ich will damit sagen, dass die Alltagskompetenz zunehmend in den Hintergrund gerät und ich SuS, die im Alltag kompetent sind, auch viel öfter als fachlich kompetent erlebe. Diese Ursachen liegen für ich in familiären Werten: Es ist oft wichtiger, dass neues Haus und neuer BMW zusammen gekauft werden als dass Papi oder Mami z.B. mit ihrem Kind kochen, schwimmen fahren usw.. Erstaunlicherweise beschweren sich sehr oft gerade die Familien über das Klischee der „gymnasiale methodische Einseitigkeit“ (hängt ja auch vom Lehrenden ab), die mit ihren Kindern genau das oder ähnliche Dinge tun. Was du in Deutschland wirst, bestimmt nicht dein Geist, sondern deine Herkunft bzw. der Zeitpunkt der Ankunft deiner Eltern zu Hause bei dir (soll ja auch Hartz4-Empfänger geben, die nicht auf BMWs verzichten können, sondern andere Sorgen haben). Wenn man auch viel gegen PISA sagen kann, so muss man doch genau dies einräumen. Deswegen ist die Forderung nach Ganztagsschulen im Prinzip ja nichts als die versteckte Forderung, Eltern ihre Kinder ganztägig zu entziehen (bisher ohne tragfähiges und finanziertes Konzept). Direkt darf man diese starke Wählergruppe als Politiker schließlich nicht angehen.
Ich mache auch Gruppen- und Freiarbeit – und andere Dinge, die mir so über den Weg laufen. Aber entweder bin ich methodisch in dem Bereich eine Vollniete oder da kommt selten etwas bei herum, solange gewisse Sachkompetenzen nicht vorhanden sind (für die ich am Gymnasium halt nur die Zeit n zur Vermittlung zur Verfügung habe). In der Regel mache ich damit die besten Erfahrungen in der Oberstufe. Und: Erfolgreiche Gruppenarbeit und Lerngruppengröße sind m.E. ganz stark aneinander gekoppelt. Es gibt nicht so viele Inhalte, die sich arbeitsteilig (die m.E. einzig sinnvolle Form für Präsentationsphasen) organisieren lassen – das mache ich dann eher als Gruppenpuzzle und dann kommen die Bschwerden, dass nicht alles bei jedem gleich im Heft steht und so Schüler X ja nicht die gleichen Chancen wie Schüler Y hatte, weil es ja nicht an der Tafel stand.
Mir dreht sich da immer der Kopf, weil ich gar nicht weiß, wo man da anfängt. Die ideale Gruppe für pädagogische Prozesse liegt bei 15, meine magische „Schulgrenze“ bei 24 SuS. Ich sehe momentan drei Hauptprobleme: Lerngruppengröße, Lerngruppengröße und Lerngruppengröße.
„Es darf mich auch gerne jemand eine Woche lang im Unterricht begleiten, wenn er verspricht, sich nur dann eine Pause zu gönnen, wenn ich eine habe.“
Das kenne ich auch. Glaubst Du bei einem x‑tägigen Seminar im Seminarhotel ist das anders. Du fängst beim Frühstück an, setzt das Seminar beim Mittagessen und Abendessen fort und am abend fragt dich garantiert noch ein Teilnehmer, ob du gerade noch mal Zeit hättest.
„Ich kann in Hinsicht auf Ratschläge für die Schule auch nur Leute so richtig didaktisch ernstnehmen, die das System aus Lehrendensicht erlebt haben (mindestens 1 Jahr Vollzeittätigkeit) – ich habe bisher wenig bis ganz wenig schulpraktisch Brauchbares von Leuten gesehen, die über diese Erfahrung nicht verfügten.“
Das folgende bezieht sich jetzt nicht auf Dich Maik. Ich will es dir wirklich nicht unterstellen, aber meist höre ich dieses Argument von denen, die sagen ‚man kann eh nichts ändern‘. Die Gefahr ist hierbei, dass Schule in ihrem eigenen Sumpf stecken bleibt. Du musst ein Lehrer sein, du musst an meiner Schulform, in meinem Einzugsbereich (Sozialstruktur), in meinem Fach, in meiner Klasse, mit meinem Schüler, am Montag vormittag sein.
Die Diskussion kenne ich auch woanders her: In unserer Stadtverwaltung, in unserem Amt, in meinem Aufgabengebiete, mit meinen Bürgern, ist alles ganz anders und wenn du nicht hier ein Leben lang.…
Sorry, aber mit solchen Redewendungen kriegst du mich auf die Palme.
Bin dir aber nicht böse. Ralf.
Das stimmt. Deswegen habe ich auch geschrieben, dass ich bisher wenig gesehen habe, nicht dass ich nichts gesehen habe. Mein Fach und meine Schulform müssen es übrigens bei mir nicht sein. Leute mit zwei Geisteswissenschaften oder Sprachen oder ein Hauptschullehrer (und viele, viele andere) haben weitaus mehr zu beißen.
Wie? Du kannst während eines Seminars essen? Ich habe auch schon viele Seminare (Jugendbildungsbereich) geleitet und genau das erlebt. Für mich ist das nie vergleichbar gewesen. Ein Seminar ist zeitlich begrenzt.
Ein Kontakt zu einem Mitglied meiner Schule dauert sehr lange – Jahre! Die Qualität meines Arbeitsplatzes hängt unmittelbar von einem sozialen Gefüge ab – das ist eine ganz andere Form von Stress (an seinen Abenden und Wochenden korrigiert übrigens ein durchschnittlcher Lehrer – eine Runde Mitleid bitte…). Du kannst einen zeitlichen begrenzten Prozess m.E. nie mit einem kontinuierlichen vergleichen, in dem alle Phasen der Gruppenbildung ständig parallel ablaufen. Du bestimmst, Art, Umfang, Inhalte und zeitlichen Rahmen in in den Grenzen, wie du Geld verdienen möchtest. Ich bin alimentiert. Art, Umfang und zeitlichen Rahmen bestimme ich nicht, wenn ich ein Mindestmaß an Qualität erhalten möchte – das tun andere für mich. Inhalte muss ich unterrichten, ob sie mir passen oder nicht – zum Glück geht der Trend zumindest von den Inhalten weg. Ich habe genau mit deinen Augen auf Schule geschaut – sogar noch als Referendar – und schaue heute anders.
Der Hinweis in diese Richtung ist nicht so zu verstehen dass ich sage: „Ich habt alle sowieso keine Ahnung!“ – das wäre in der Tat Abschottung. Ich meine es eher so: „Macht euch ein genaues Bild, damit ihr sehen könnt, was in diesem System praktikabel ist und was nicht und macht euch vor allem ein Bild, damit ihr bessere Hebelpunkte zur Veränderung von Schule findet, als die, die von außen zunächst offensichtlich aussehen.“
Für mich gibt es einige Schlüsselbegriffe:
Lerngruppengröße, Lehrerpersönlichkeit, Lehrerfortbildung, nachhaltige Bildungspolitik, Werte in der Erziehung von Kindern
Der Hebel wird aber oft ganz anders angesetzt:
Man schreibt Lehrpläne und Schulgesetze um. Man tut dies aus gewissen ideologischen Überzeugungen heraus, was seine Berechtigung hat – weil genau da sich Unterricht auch maßgeblich verändern lässt. Man schreibt diese Dinge aber selten so um, dass der Bildungsetat dadurch belastet würde. Funktioniert das, wenn diese Dinge nur eine Legislaturperiode halten? Bei PISA erfolgreichere Bundesländer hatten oft über einen längeren Zeitraum keinen Regierungswechsel (würde man sagen, wenn man böse wäre).
Und dann muss man in der Tat nach Skandinavien schauen, wo Lehrer ja viiiiel weniger verdienen (weil sie weniger und unter besseren Bedingungen arbeiten). Auch die anderen von mir genannten Schlüsselbegriffe sind dort nach meine Recherchen ganz anders gefüllt. Achja – Curricula und Lehrpläne machen dort die vollständig budgetierten Schulen. Der Staat setzt lediglich Standards und Zielpunkte.
Ich empfinde uns als Schulen und Lehrer in vielen Punkten als „schuldig“. Aber wahrlich nicht in den meisten – sind wir alles totale Weicheier, oder warum erreichen rekordverdächtige Prozentzahlen das Pensionsalter nicht? Ich glaube in der Berufunfähigkeitsversicherung kommen wir nach den Gerüstbauern.
Heute gelesen auf http://www.herr-rau.de . An blöden Tagen denke ich: Erwischt!
Was war eigentlich nochmal das Thema des Artikels, welchen wir hier kommentieren?
„Du kannst einen zeitlichen begrenzten Prozess m.E. nie mit einem kontinuierlichen vergleichen, in dem alle Phasen der Gruppenbildung ständig parallel ablaufen.“
Ganz recht. Und es wäre fatal, das in einen Topf zu werfen. Anders herum habe ich u.U. nur zwei Tage Zeit etwas in Bewegung zu versetzen. Das ist eine andere Herausforderung.
Systemisch betrachtet arbeite ich mit geschlossenen autopoietischen Systemen als Aussenstehender. Meine Chance ist die Reflexion der inneren Spiele und Regeln und die Verunsicherung aus der etwas neues wachsen kann. Du bist in einem langfristigen Beziehungsprozess (über Jahre) mit der Zeit Teil des Systems. Daraus entstehen andere Möglichkeiten und Fragestellungen.
„Du bestimmst, Art, Umfang und zeitlichen Rahmen in in den Grenzen, wie du Geld verdienen möchtest. Ich bin alimentiert. Art, Umfang und zeitlichen Rahmen bestimme ich nicht, wenn ich ein Mindestmaß an Qualität erhalten möchte – das tun andere für mich.“
Ich habe mich entschieden wo ich arbeiten will. Du auch. Reinhard Sprenger (Mythos Motivation) ist auch ausgebildeter und tätig gewesener Lehrer an einer Schule. In einem seiner Bücher schreibt er, dass man das was man tut, selber entschieden habe und dafür auch verantwortlich sei. Lehrer, die an der Schule wie sie ist verzweifeln, möge man empfehlen, sich etwas anderes zu suchen. Das geht. Ist aber eine Entscheidung. Und es gibt Lehrer die das tun: dauerhaft oder auf Zeit. Alleine die Souveränität des „ich könnte“ entlastet und verändert.
Es braucht Lehrer an Schulen und es braucht dort bessere Arbeitsbedingungen. Was aus der Kultusbürokratie kommt ist häufig nicht hilfreich, häufig sogar kontraproduktiv. Die Schulträger schütten auch keine Füllhörner über den Schulen aus.
Das wichtigste Instrument ist der Lehrer. Und ich sehe Lehrer, die durch ihre Person in einer Struktur, die sie dabei nicht immer unterstützt, etwas bewegen. Davon brauchen wir viele und jeder einzelne ist wichtig.
Jeder Mitarbeiter in der Verwaltung oder im Unternehmen erzählt dir etwas über die Begrenzungen seines Handelns. Das gleiche tut der Geschäftsführer oder Inhaber. Woanders ist es also nicht anders.
Es gibt eine interessante Frage, die manchmal zu Lösungen führt:
Was würdest du tun, wenn es die Begrenzungen nicht gäbe?
Interessant ist die Frage wegen der Antworten, die sie häufig generiert. Die Antworten sind zu analysieren unter dem Aspekt: was kannst du davon heute schon tun oder was müsstest du daran ändern, damit du es heute schon tun kannst.
Ich erlebe, dass ganz oft zwei Drittel der genannten Punkte heute schon machbar und mit leichten Modifikationen umsetzbar sind. Es gibt nur ganz seltene Fälle in denen das nicht zu Ideen und Möglichkeiten führt.
„Was war eigentlich nochmal das Thema des Artikels, welchen wir hier kommentieren?“
Ich denke, dass wir da gar nicht so weit weg sind. Welche Rolle und welches Selbstverständnis als Lehrender traue ich mir zu umsetzen und wie weit sind wir damit. ‚In den Kinderschuhen‘ schriebst du dazu. Es geht dabei dann nicht primär, um die Frage, ob ich ein Moodle habe, sondern wie ich mich als Lehrender in meiner Beziehung zu dem Lernenden und der lernenden Gruppe (TZI-Konzept) verstehe.
Dumdidum. Es gehen aber nach meinen Erfahrungen eben nicht primär und unbedingt die „Verzweifelten“ (so einfach ist die Schublade ja nun auch nicht aufgebaut). Man muss nicht gehen. Da gibt es ganz andere, oft krankmachende Strategien – von denen niemand frei ist.
Es gehen m.E. sehr oft die pädagogischen und fachlichen Kapazitäten (zumindest haben die mich „damals“ innerhalb der Pädagogik ausgebildet und geprägt) und sei es, dass sie dadurch gehen, dass sie reduzieren oder sich bewusst degradieren lassen. Wie passt das zu:
Das ist Humanismus. Und es ist humanistische Pädagogik, die so redet. Ich mag humanistische Pädagogik (auch wenn der Humanismus sowohl an seinem Menschenbild als auch an den staatlichen Systemen gescheitert ist und scheitert, totkriegen tut man den erfreulicherweise trotzdem nicht). Ich mag meinen Job. Und ich habe ihn bewusst gewählt – trotzdem habe ich das Recht, ihn manchmal mehr und manchmal weniger zu mögen. Ich darf ihn nur nicht dauernd weniger mögen. Das lässt sich ja auch auf die Ehe übertragen – was aber nun wirklich zu weit geht, auch wenn Sonntag ist :o)…
Mit denen, die öffentlich darüber reden, wirst du – nach meiner Einschätzung – weniger Probleme haben. Die Herausforderung liegt wahrscheinlich aber gerade nicht da. Und sie ist auch nicht durch eine Methode wie Moodle (für mehr halte ich Moodle nicht) zu lösen, oder?
„Und sie ist auch nicht durch eine Methode wie Moodle (für mehr halte ich Moodle nicht) zu lösen, oder?“
Da stimmen wir wieder völlig überein. Es wäre falsch, ein kommunikatives Problem mit einer Technik oder einer Plattform zu lösen. Und es kann eigentlich nur eine Einzelfalllösung sein wenn eine Lehrerin mit ~50 Jahren sagt, eigentlich sei sie davon ausgegangen, dass es in der Zeit in der sie noch an der Schule sei, nichts Neues Aufregendes mehr gäbe, was ihr Impulse gäbe. Nachdem sie für ihren Sprachunterricht Moodle entdeckt hat, hat sich das gesamte Schulleben völlig für Sie persönlich verändert.
Wir kennen die Kollegin beide und ich darf das so zitieren, da sie es selber bereits in einem Buchbeitrag so formuliert hat.
Pingback: Moodle - eine persönliche Zwischenbilanz - riecken.de - … Irrungen und Wirrungen des Lehrerdaseins
Zu der Frage mit der Persönlichkeit des Rechners kann ich vielleicht etwas beitragen:
Es gab mal eine Studie (habe ich vor 5 Jahren irgendwo gelesen, also Quelle selber suchen :) ), in der der „Vertrauensfaktor“ von Computern untersucht wurde.
Es wurden psychologische Gespräche über den Computer geführt, und zum Vergleich in der Praxis. Die Gruppe am Computer machten sehr viel mehr und tiefere persönliche Angaben.
Das Stichwort (Quelle) dazu lautet „Eliza“. Eliza ist ein Programm, das einen Psychotherapeuten auf Basis einer recht rudimentären Grammatikanalyse simuliert. Ich habe damals so etwas mal aus einem Amiga-Magazin in Amigabasic abgetippt – das war auch so das einzige Programm, was abgetippt auch funktionierte :o)… Nettes Spielzeug (vor allen Dingen war das bereits 1988 eine Art „Chat“) – aber irgendwie schon merkwürdig, dass Menschen sich der Illusion hingeben können, eine Maschine wäre ein nachhaltiger Dialogpartner (wenn man den Programmcode sah, war dort nur Mathematik). Eliza konnte übrigens nur das Gespräch „in Gang“ halten, nicht individuell beraten. Der „Schwindel“ wäre also nach spätestens 30–40 Minuten aufgeflogen… Mag sein, dass heutige Elizanachfolger mehr anzubieten haben.
Seufz – den 68000er meines Amigas konnte ich damals sogar mit Assembler (Maschinensprache) direkt programmieren. Wenn ich mir heute auch nur einen 486er anschaue, weiß ich, warum das kaum einer mehr schaffen kann.
Jetzt noch ein Insider:
Nein Markus, dein Intro ist immer noch nicht fertig!
Ja, solche Dinger kenne ich auch. Ich glaube aber der Test damals wurde eher wie ein Chat mit einem richtigen Partner durchgeführt.
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der letzte Absatz bringt es auf den Punkt: „Wenn Moodle der Lehrende wird, ist Moodle schlecht und falsch verstanden eingesetzt. Moodle muss und darf lediglich das Instrument des Lehrenden sein.“ Vielleicht sollte hier auch noch „und der Lernenden“ ergänzt werden.