Unterricht ist eine Illusion

Das hört sich wie­der ein­mal böse an, aber ich hal­te klas­si­schen Unter­richt, sei er koope­ra­tiv, fron­tal oder sonst­wie geführt für eine sol­che. In Lehr­pro­ben und Unter­richts­be­su­chen, also da, wo es dar­auf ankommt, wird es für mich beson­ders deutlich.

  1. Es ist eine Illu­si­on zu glau­ben, dass SuS einer Lern­grup­pe zur glei­chen Zeit das Glei­che ler­nen wol­len. Des­we­gen sind Din­ge wie Moti­va­ti­on und Dis­zi­pli­nie­rung über­haupt erst erfor­der­lich. Moti­va­ti­on kann ich durch Metho­den, inter­es­san­te Impul­se u.ä. gene­rie­ren, Dis­zi­plin haupt­säch­lich durch Authen­ti­zi­tät und Auto­ri­tät (das will ich drin­gend „auto­ri­tär“ unter­schie­den wissen).
  2. Es ist eine Illu­si­on zu glau­ben, dass Unter­richt frei ist. Der Leh­ren­de gibt bedingt durch z.B. cur­ri­cu­la­re Vor­ga­ben Inhal­te für die Stun­de vor und er ver­folgt ein Ziel mit einer Unter­richts­stun­de, wel­ches zunächst für die Lern­grup­pe ver­deckt ist – sonst wäre die Stun­de bereits zer­brö­selt, wenn ich z.B. den Satz des Pytha­go­ras geo­me­trisch nach­wei­sen möch­te und den Beweis an den Anfang stel­le. Natür­lich kann ich mei­ne Stun­de so anle­gen, dass meh­re­re Wege zum Ziel füh­ren. Gleich­wohl zwin­ge ich der Lern­grup­pe die Stadt auf, in die sie zu gehen haben. Sie kön­nen allen­falls ent­schei­den, ob sie das sin­gend oder tan­zend, auf direk­tem oder indi­rek­tem Weg, am Fluss ent­lang oder über das Gebir­ge hin­weg tun wollen.

Ket­ze­risch könn­te man behaup­ten, dass eine Stun­de dann beson­ders gut gelingt, wenn ich es als Lehr­kraft voll­brin­ge, die Illu­si­on von Frei­heit zu schaf­fen und gleich­zei­tig die SuS nicht mer­ken zu las­sen, dass sie mit einer Illu­si­on kon­fron­tiert sind. Das Urteil nach einer Lehrprobe/Unterrichtsbesichtigung lau­tet dann: „Die SuS haben sich den Sach­ver­halt durch eine zweck­dien­li­che Metho­dik und her­vor­ra­gen­de Mate­ria­len moti­viert und selbst­stän­dig erar­bei­tet!“. Aber das, was sie sich erar­bei­ten soll­ten, stand mit den mög­li­chen Wegen, die die SuS gehen konn­ten, bereits im Ent­wurf. Des­we­gen möch­te ich sol­che Stun­den nicht „frei“ nen­nen und Men­schen, son­dern es han­delt sich in mei­nen Augen dann um eine inten­dier­te, mög­lichst per­fek­te Illusion.

Was ist dar­an schlimm?

Nichts. Wir leben von und mit Illu­sio­nen. Schlimm fin­de ich nur, wenn wir in die­sem Zusam­men­hang von „frei­en Unter­richts­for­men“ spre­chen. Sie sind es nicht, weil sie immer dazu die­nen, SuS in eine bestimm­te Stadt zu locken (in Mathe, Che­mie, Phy­sik, Bio­lo­gie aller­dings weit mehr als in Deutsch, Geschich­te und Poli­tik). SuS müs­sen bestimm­te Städ­te ken­nen ler­nen, um sich spä­ter für eine ent­schei­den zu kön­nen oder sich gar eine neue zu bau­en. In die­ser Pha­se hal­te ich Frei­heit für eine Illusion.

Kann man etwas so Grund­sätz­li­ches ändern?

Hm. Selbst LdL ist hier nur bedingt illu­si­ons­ab­bau­end, weil Inhal­te und Zie­le immer noch die Lehr­kraft vor­gibt. Metho­disch nimmt LdL jedoch das Indi­vi­du­um in sei­nen Fähig­kei­ten sehr ernst. Man „lockt“ weni­ger in die Stadt, son­dern sagt viel­leicht: „So, hier ist ein GPS-Gerät, hier ist dein Ziel, du schaffst das!“. Wenn man das oft macht, sagen SuS irgend­wann viel­leicht: „Hm, ich habe ein GPS-Gerät, jetzt gehe ich außer­halb der Schu­le damit mal an die Koor­di­na­te xy!“. Das ist dann Frei­heit und kei­ne Illu­si­on. Auch die oft so ver­hass­ten Semi­nar­fä­cher eig­nen sich nach mei­ner Erfah­rung für Illu­si­ons­ab­bau, Pro­jekt­un­ter­richt mit selbst gewähl­ten Inhal­ten…  Ein Grup­pen­puz­zle hin­ge­gen hat eher was von Geo­caching mit vor­ge­be­nen Koor­di­na­ten, auch die Mys­tery­me­tho­de, weil hier die Wege doch irgend­wie stär­ker mit Weg­punk­ten ver­se­hen sind, die gera­de in einer Lehrprobe/in einem Unter­richts­be­such als Kon­troll­punk­te dienen.

Es gibt päd­ago­gi­sche Ansät­ze – haupt­säch­lich von Reform­päd­ago­gen – die übri­gens die­sen inhalt­li­chen Ziel­zwang, die­se Unfrei­heit bewusst ver­mei­den, z.B. die Montesso­ri-Päd­ago­gik. Die­se mei­ne Erkennt­nis­se und Ergüs­se sind also mit­nich­ten „neu“.

Die Rela­ti­vie­rung

In der Den­ke die­ses Arti­kels könn­te man natür­lich auch sagen, dass Bücher den Lesen­den „zwin­gen“, weil sie Hand­lung und Hand­lungs­ziel vor­ge­ben. Das wird nur ein Pro­blem, wenn man aus­schließ­lich bestimm­te Bücher mit bestimm­ten Hand­lun­gen und Hand­lungs­zie­len liest – das hal­te ich für das Wesen und die Quel­le von Fun­da­men­ta­lis­mus, sei es reli­giö­ser oder poli­ti­scher oder sonst­wel­cher. Des­we­gen brau­chen wir nach mei­nem Dafür­hal­ten „bun­ten“ und ver­schie­den­ar­ti­gen Unter­richt und da dür­fen dann auch ger­ne Illu­sio­nen eine Rol­le spielen.

Ich war­te aber auf den Tag, an dem ein Bewer­ter sagt: „Die­se Stun­de bot eine per­fek­te Illu­si­on, an der ich mich gewei­det habe, weil sie mei­nem per­sön­lich mensch­li­chen Bedürf­nis ent­spricht!“ Oder so ähnlich.…

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12 Kommentare

  • Gute Ana­ly­se, mir gefällt vor allem die Meta­pher mit der Stadt. 

    Ich stim­me Dir zu, dass der klas­si­sche Unter­richt kei­ne wirk­li­che Frei­heit bie­tet. Hier gibt es m.E. zwei Ansätze:

    Zum einen den Ansatz, den Du nennst: im Pro­jekt­un­ter­richt nur ein gro­bes Ziel vor­ge­ben und die Teil­zie­le selbst wäh­len zu las­sen („Wir rei­sen nach Bul­ga­ri­en, dort habt ihr ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten – ihr müsst drei Rei­se­zie­le ansteuern“). 

    Zum Ande­ren kann man die Unfrei­heit „erträg­li­cher“ machen, indem man erklärt, war­um man das Rei­se­ziel ansteu­ert, um hier­über den Sinn des Ler­nens klar zu machen (den Sinn, den es hof­fent­lich in der Lehr­plan­vor­ga­be gibt – was durch­aus nicht immer selbst­ver­ständ­lich ist). 

    Aus mei­ner eige­nen Erfah­rung nei­ge ich immer mehr zum ers­ten Ansatz, weil ich mer­ke, dass ich mit einer inhalt­li­chen Öff­nung im Pro­jekt­un­ter­richt viel intrin­si­che Moti­va­ti­on frei­set­zen kann und weil ich ande­rer­seits in den oft klein­schrit­ti­gen Vor­ga­ben des Cur­ri­cu­lums selbst Pro­ble­me habe, den Sinn zu erkennen.

  • klein­schrit­ti­gen Vor­ga­ben des Cur­ri­cu­lums selbst Pro­ble­me habe, den Sinn zu erkennen.“

    Das ist für mich ein ganz wich­ti­ger Satz. Wir spre­chen die­ses Jahr in Deutsch eN (Leis­tungs­kurs) hier in NDS über „Deut­sche Spra­che der Gegen­wart“. In den Vor­ga­ben fin­det sich sehr viel – aber nichts zum The­ma Sprach­ge­schich­te, ohne die das Deutsch der Gegen­wart m.E. nicht erklär- und ver­steh­bar ist, vor allem in sei­nen Varie­tä­ten, in sei­nen Unter­schie­den zu sla­wi­schen Spra­che (Ost­erwei­te­rung der EU und Sprach­bar­rie­ren) usw.

    Das bedeu­tet doch in letz­ter Kon­se­quenz eine Art von zivi­len Unge­hor­sam. Ich mache drei Wochen Sprach­ge­schich­te – min­des­tens. Die „ver­lo­re­ne Zeit“ hole ich spä­ter locker wie­der ‚rein.

    Auch Pro­jekt­un­ter­richt dürf­te an vie­len Schu­len ein zumin­dest klei­nen Ver­stoß gegen schul­in­ter­ne Vor­ga­ben bedeu­ten. Dabei fin­de ich zusätz­lich schwie­rig, dass ich oft erle­be, wie „Pro­jekt­men­schen“ sich gele­gent­lich auch etwas hin­sicht­lich der Qua­li­tät der Ergeb­nis­se und des Lern­fort­schritts vor­ma­chen. Guter Pro­jekt­un­ter­richt ist näm­lich ganz schön anspruchs­voll. Ich habe in mei­nem Semi­nar­fach gera­de das Ziel „Gestal­tung eines lite­ra­ri­schen Abends“ aus­ge­ge­ben – nach gewis­sen inhalt­li­chen Imp­fun­gen im Rah­men der Fach­ar­beit, z.B. mit Hes­se. Ich habe jetzt schon ein wenig Angst, da ich direkt nach den Feri­en die Sache mit dem Raum/der Loka­li­tät ter­min­lich festmache…

  • Stim­me dir in eini­gen Punk­ten zu (nicht alle wol­len gleich­zei­tig das Glei­che ler­nen; Unter­richt ist *völ­lig* frei), kom­me jedoch nicht zu den m.E. recht pau­scha­len bzw. nicht ver­all­ge­mei­ner­ba­ren Schlüssen.

    Ler­nen­de wis­sen doch genau, dass Schu­le ein Zwangs­sys­tem ist (was ich auch nicht so ganz übel fin­de: wäre z.B. nicht unbe­dingt froh, wenn ich mich jeden Mor­gen neu ent­schei­den müss­te, ob ich antre­te oder nicht – wie soll­te Aus­bil­dung gesell­schaft­lich gelin­gen, wenn nicht *auch* durch die­ser Art Verbindlichkeit/Zwang?)

    Stadt­be­su­che sind doch schön, denn wenn man gewis­se Frei­hei­ten hat, lässt sich doch immer wie­der Neu­es ent­de­cken?!-) – auch mir gefällt das Bild. Ent­schei­dend ist doch, dass die Kids nicht skla­ven­mä­ßig in Ket­ten gelegt durch die Stra­ßen gezerrt, son­dern i.d.R. respekt­voll und ein­la­dend behan­delt wer­den – und so lässt sich das Maß an Unfrei­heit, das dem Sys­tem Schu­le unbe­strit­ten inne­wohnt, m.E. gut ver­kraf­ten: es soll ja immer wie­der Schü­le­rin­nen und Schü­ler geben, die ger­ne und nicht unfrei­wil­lig in die Schu­le gehen.

    Pro­ble­ma­tisch bzw, etwas eng fin­de ich also dei­nen Frei­heits­be­griff: da wo – eben durch „freie Unter­richts­for­men“ – auch Eigen­stän­dig- und tätig­keit der jun­gen Ler­nen­den gefor­dert, geför­dert und unter­stüt­zend beglei­tet wird, ent­ste­hen m.E. zwangs­läu­fig schö­ne, attrak­ti­ve, moti­vie­ren­de und für die Per­sön­lich­keits­bil­dung der Her­an­wach­sen­den wert­vol­le Frei­heits­räu­me, die in dei­ner Argu­men­ta­ti­on kei­ne Berück­sich­ti­gung finden.

    Mei­ne Kri­tik geht – bit­te um Nach­sicht – noch etwas wei­ter: Was ich an der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung gut fin­de, lässt sich auch schön in dei­ne Stadt-Meta­pher ein­bau­en – es geht nicht mehr so sehr dar­um, dass die Besu­chen­den wis­sen wie­vie­le Ein­woh­ner, Kir­chen und Fabri­ken etc. es gibt, aber es ist – übri­gens auch für den Besuch wei­te­rer Städ­te – durch­aus prak­tisch zu wis­sen wie ich an der­lei Infor­ma­tio­nen kom­me, wie ich mich mit Hil­fe von Kom­pass, Schil­dern und geschick­ter Befra­gung von Pas­san­ten ori­en­tie­ren kann, wie ich einen drei­tä­gi­gen Besuch in der Stadt unter ver­schie­de­nen Inter­es­sen­la­gen mög­lichst sinn­voll gestal­te etc. – Auch eine in die­sem Sin­ne kom­pe­tenz- und pro­blem­ori­en­tier­te Unter­richts­ge­stal­tung (die vie­ler­lei Anschlüs­se an die über 100 Jah­re alte Montesso­ri-Päd­ago­gik ermög­licht: „Hilf mir, es selbst zu tun“…) erzeugt Frei­heits­räu­me, wel­che das, was du ver­mut­lich mit „klas­si­schem Unter­richt“ meinst, aufbrechen.

    Hier noch eini­ge Gegen­the­sen zu dem, was – in m.E. zu gedräng­ter Form – in dei­nem Bei­trag steht: 1. Moti­vie­ren­des und dis­zi­pli­nie­ren­des Han­deln durch Lehr­kröf­te braucht es auch in nicht-klas­si­schen Unter­richts­sze­na­ri­en (war eini­ge Zeit auf einer Her­mann-Lietz-Schu­le, die eine ande­re Päd­ago­gik fah­ren und ohne M&D – wenn auch gekop­pelt mit bzw. auf­ge­fan­gen durch die Fami­li­en­struk­tu­ren – nicht funk­tio­nie­ren). – 2. Authen­ti­zi­tät dient m.E. weni­ger der Disziplin(ierung) denn der Moti­va­ti­on, der per­son- und welt­be­zo­ge­nen Begrün­dung der Sinn­haf­tig­keit des Gelern­ten. – 3. Unter­richts­zie­le sind nicht zwin­gen­der­wei­se „zunächst für die Lern­grup­pe ver­deckt“, ich arbei­te oft mit einem trans­pa­ren­ten Stun­den­ein­stieg (und sehe das auch bei Refe­ren­da­rIn­nen); außer­dem kann man metho­disch zwi­schen deduk­ti­ven und induk­ti­ven Ansät­zen wählen.

    Last not least noch­mals zu dem Grund­sätz­li­chen, in dem wir viel­leicht einig wer­den kön­nen: Die Schu­le berei­tet nicht mehr auf das Leben vor (wir haben ja nur sche­men­haf­te Ahnung von den Erfor­der­nis­sen, die auch nur in zehn-fünf­zehn Jah­ren an unse­re Schü­le­rin­nen und Schü­ler gestellt wer­den), sie IST das Leben… und *darf* daher kei­ne Illu­si­on im her­kömm­li­chen Sin­ne sein.

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  • Wenn Schu­le das Leben ist, war­um brau­chen wir sie dann über­haupt noch? Kann und soll­te dann nicht das Leben unse­re Schu­le sein?

    Das kann man auf die Spit­ze trei­ben, z.B. hier:
    http://freiebildung.wordpress.com/

    Ich ver­su­che jetzt stich­punkt­ar­tig vorzugehen:

    Zwang:
    Ich mei­ne nicht metho­di­schen Zwang, ich mei­ne inhalt­li­che Zwän­ge. Und du wirst nicht bestrei­ten kön­nen, dass du die Inhal­te für dei­nen Unter­richt fest­legst (auch auf Basis exter­ner Vor­ga­ben…) und dass du aus ganz bestimm­ten Grün­den nicht immer dar­le­gen kannst, war­um du in die­ser oder jener Art vor­gehst (ein guter Grund ist bei mir, dass ich oft selbst noch nicht weiß, wie das gehen soll mit den Vor­ga­ben – Not­fall-Pro­zess­ori­en­tie­rung). Das ist ein Macht­ge­fäl­le, was dann trotz frei­heit­li­cher Metho­dik zu Gezer­re (inhalt­lich!) füh­ren kann.
    Ob die von dir ange­spro­che­ne Selbst­kom­pe­tenz (heißt von Bun­des­land zu Bun­des­land anders) inner­halb von Schu­le unter den jet­zi­gen Bedin­gun­gen ver­mit­tel­bar ist, nun­ja. Wie groß war noch ein­mal die idea­le Gruppe?

    Kom­pe­tenz:
    Hast du eine brauch­ba­re Quel­le für eine Defi­ni­ti­on von Kom­pe­tenz? Gibt es irgend­wel­che Metho­den, um Kom­pe­ten­zen sicher zu über­prü­fen? Das wäre ja wich­tig und eine Grund­vor­aus­set­zung, um mei­nen Unter­richt zu ver­bes­sern. Wie stel­le ich sicher, dass mei­ne Ver­su­che, Kom­pe­ten­zen zu ver­mit­teln, nicht mit indi­vi­du­el­len Anla­gen kol­li­die­ren – z.B. Vor­trags­tech­nik für SuS, die nicht vor Grup­pen reden *wol­len*? Und wie passt das Kom­pe­tenz­mo­dell zu zen­tra­len Abiturprüfungen?

    Authen­tiz­tät:
    D’ac­cord, nur sehe ich es so, dass du ein­fach nur anders­her­um argu­men­tierst: Moti­va­ti­on führt doch in der Regel zu einem höhe­ren Maß an inne­rer Dis­zi­plin (äußer­lich kann das anders aus­se­hen) – für mich bedingt sich das gegenseitig.

    ver­deck­te Ziele:
    D’ac­cord – ich ken­ne das z.B. immer wie­der aus der Che­mie bei Meta­ar­beit über den Modell­be­griff. Die inhalt­li­chen Zie­le sind aber sehr oft ver­deckt, auch wenn man – wie ich es auch hin und wie­der tue – den geplan­ten Stun­den­ver­lauf an die Tafel bringe.

    Ich fin­de, dass wir unter­schei­den müs­sen zwi­schen Anspruch und Wirk­lich­keit. Und die Wirk­lich­keit zwingt uns (lei­der) nach mei­ner Erfah­rung oft genug wie­der in die Illusion.

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  • Stoff­ver­mitt­lung:
    Die Auf­ga­be der Schu­le ist: ein von der Gesell­schaft aus­ge­wähl­ter, als rele­vant defi­nier­ter Stoff ist Schü­lern auf wel­che Wei­se auch immer zu ver­mit­teln. Es ist für einen Deut­schen wich­tig zu ver­ste­hen, war­um „Effie Briest“ für die deut­sche Kul­tur von Bedeu­tung ist. Die Schü­ler müs­sen sich mit dem Autor befas­sen, mit dem his­to­ri­schen Hin­ter­grund, sie müs­sen die Merk­ma­le des Rea­lis­mus in Effi Briest erken­nen, sie müs­sen Fon­ta­nes bewuss­te Bot­schaft ver­ste­hen und auch die unbe­wuss­ten mit­trans­por­tier­ten Wer­te her­aus­ar­bei­ten. Hier gibt es kei­ne Frei­heit und das wis­sen alle, der Leh­rer und die Schü­ler. Bei LdL tei­le ich 3 Schü­lern mit, was sie der Klas­se bei­brin­gen müs­sen (sie­he oben), und sie ver­su­chen die­se Auf­ga­be mit ihren Mit­teln (also wie es ihnen am sinn­volls­ten erscheint) zu erfüllen.
    Projekt:
    Die Schü­ler kön­nen selbst wäh­len, in wel­chem „For­schungs­be­reich“ sie neu­es Wis­sen kon­stru­ie­ren wol­len. Hier ist alles frei. Will jemand z.B. die Lage der Grie­chi­schen Com­mu­ni­ty in Paris erfor­schen, so kann er vor­ge­hen wie er will. Er muss aller­dings eine Such­hy­po­the­se auf­stel­len. Er kann sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Metho­de her­an­zie­hen um sein The­ma zu bear­bei­ten, er kann aber auch selbst sei­ne Instru­men­te erfin­den. Wich­tig ist die inter­sub­jek­ti­ve Prüf­bar­keit und Plau­si­bi­li­tät der Ergeb­nis­se. Und das Ergeb­nis ist neu­es Wis­sen. Die­ses neue Wis­sen kann er der Klas­se ver­mit­teln, z.B. nach LdL. Hier ist alles frei: das The­ma, die For­schungs­me­tho­de, die Ergebnisvermittlung.

  • Schule/Leben: Ich fin­de – mit Chris Leh­man http://matthiasheil.de/2009/06/17/technologyschool-chris-lehman-ignitephilly-talk – man kann Schu­le nicht (mehr) als einen von der Welt getrennten/geschützten Raum sehen, son­dern soll­te sich auf vie­len Ebe­nen ent­schie­den dem zuwen­den, was in der Welt von heu­te mög­lich und erfor­der­lich gewor­den ist: What hap­pens at schools is real life, not pre­pa­ra­ti­on for real life (2:58) – die Nut­zung von Tech­no­lo­gie, v.a. des Webs, spielt dabei eine wich­ti­ge Rol­le: it should be like oxy­gen: ubi­qui­tous, neces­sa­ry & invi­si­ble (3:04) — denn vor allem: We teach kids, not sub­jects (2:00).

    Dies ist das genaue Gegen­teil von dem, was Jean-Pol in sei­nem Kom­men­tar mit „als rele­vant definierte[n] Stoff“ beschreibt: Effie Briest ist viel­leicht eine instruk­ti­ve Lek­tü­re (kann mich nicht erin­nern, ob ich sie als Schü­ler gele­sen habe), aber den jun­gen Ler­nen­den muss doch mög­lichst über­zeu­gend klar wer­den, WARUM das so ist – und nicht nur DASS es so ist.

    Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung – hier die gewünsch­ten Quel­len: a) Ein­stieg: Bauch, Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung in der Leh­rer­bil­dung – http://download.bildung.hessen.de/lakk/stsem_gym/marburg/fortbildung/Vortrag_Darmstadt_Kompetenzorientierung_Vf.pdf (wei­te­re Lite­ra­tur am Ende, v.a. Zie­ner und Helm­ke) — b) Etwas aus­führ­li­cher: Eli­sa­beth Bon­sen & Dr. Ger­hard Hey, Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung – eine neue Per­spek­ti­ve für das Ler­nen in der Schu­le – http://www.bebis.de/zielgruppen/auszubildende/rlp_berbil/kompetenzorientierung.pdf — c) Etwas knap­per: Bauch/Leichtfuß/Meissner/Waser, Bezugs­rah­men zur Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung – http://www.studienseminar-iii.de/cms/fileadmin/materialien/Bezugsrahmen_zur_Kompetenzorientierung.pdf

    Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung fin­de ich des­we­gen gut, weil sie das WARUM erns­ter nimmt als das DASS – und die neu­en Lehr­plä­ne der nächs­ten Jah­re geben Lehr­kräf­ten ja gera­de ein sehr viel höhe­res Maß an Frei­heit hin­sicht­lich der inhalt­li­chen (sic!) Gestal­tung des Unter­richts – es kommt also genau das, was du dir (indi­rekt; Bezug: dei­ne Bemer­kun­gen zum Zwang) wünschst.

    Klar habe ich mit dem noch aktu­el­len Hes­si­schen Lehr­plan bis­wei­len auch Pro­ble­me (v.a. weil er häu­fig über­las­tet ist bzw. beim Wech­sel von G9 nach G8 viel zu wenig redu­ziert wur­de) – inhalt­li­che Pro­ble­me hat­te ich bis­her nur eines mit einer etwas gewun­de­nen For­mu­lie­rung im Kath.Reli-Lehrplan der 13/1 – und da bin ich dann augus­ti­nisch ver­fah­ren: Im Not­wen­di­gen Ein­heit, im Zwei­fel Frei­heit, in allem die Liebe…-)

    Ganz klar tei­le ich auch dei­ne Beden­ken hin­sicht­lich der Rea­li­sier­bar­keit eigen­stän­di­ger und ‑täti­ger Lern­pro­zes­se in (zu) gro­ßen Klassen. 

    Authen­ti­zi­tät moti­viert und zei­tigt auf die­se – posi­ti­ve – Wei­se dis­zi­pli­nie­ren­de Effek­te inso­fern, dass ein durch Lehr­kraft-Authen­ti­zi­tät ange­sto­ße­nes „Gepackt­sein“ jun­ge Ler­nen­de von lern­pro­zes­sin­kom­pa­ti­blen Sei­ten­be­schäf­ti­gun­gen abhält – d’accord!-)

    Anspruch und Wirk­lich­keit klaf­fen schon immer aus­ein­an­der und das ist auch nicht nur schlecht, denn anders kann es kei­nen rech­ten Fort­schritt geben. Natür­lich lei­den wir an zu gro­ßen Klas­sen, zuviel Büro­kra­ti­sie­rung und dem Dau­er­wie­gen (aber nicht ‑füt­tern) der Ergeb­nis­se unse­rer didak­ti­schen Bemühungen.

    Sich auf vie­len Ebe­nen dem zuzu­wen­den, was heu­te mög­lich und erfor­der­lich ist (s.o.), umfasst ganz klar auch eine insti­tu­tio­nel­le Kom­po­nen­te, deren Rege­lung der Poli­tik anheim­fällt, die nicht immer in ange­mes­se­ner Wei­se die Zei­chen der Zeit erkennt (Chan­cen­gleich­heit, Zukunfts­in­ves­ti­ti­on Bil­dung etc.) – aber das führt jetzt zu weit ab.

  • Zunächst ein­mal möch­te ich mich bei euch bedan­ken für die vie­len Denk­an­sät­ze! Ich bin froh, einer gene­ra­li­sie­ren­den Arti­kel geschrie­ben zu haben, weil er Reak­tio­nen pro­vo­ziert hat, die bei mehr Abge­klärt­heit mit Sicher­heit so nicht ein­ge­tre­ten wären.
    Die Quel­le schaue ich mir an und wäre ehr­lich über­rascht, wen sie etwas Anderes/Neueres ent­hal­ten als mei­ne Lehr­plä­ne von vor acht Jah­ren in Schles­w­wig-Hol­stein (da wur­de in dem Land auf Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung umge­stellt und heu­te ist das Gan­ze kurz vor der Abschaffung).

    Eine Sache noch – im Prin­zip spal­ten sich m.E. genau dar­an in Deutsch­land vie­le Lehrergeister:

    das WARUM erns­ter nimmt als das DASS

    Ein Bei­spiel:
    Wie sol­len SuS das War­um des selbst­stän­di­gen Ler­nens ver­mit­telt bekom­men? Es ist m.E. nicht ihre Natur. son­dern oft genug unse­re erwach­se­ne Wunsch­pro­jek­ti­on. Vie­le (V)Erwachsene kön­nen die­ses „War­um“ schon nicht begrei­fen. Die­ses und ande­re kom­pe­tenz­ori­en­tier­te Zie­le bil­den für mich sehr oft eine alters­un­an­ge­mes­se­ne Über­for­de­rung (sie ste­hen ja expli­zit bei bestimm­ten Jahr­gän­gen) und wird für mich zum völ­li­gen Hohn in gro­ßen Grup­pen. Mei­ne 12er-SuS wol­len leben, nicht jetzt schon mit den Anfor­de­run­gen kon­fron­tiert wer­den, die ein Groß­teil der Erwach­se­nen­welt nicht erfüllt (Bän­ker?). Natür­lich bie­ten die neu­en Medi­en hier Chan­cen, die durch das umge­ben­de Ana­lo­ge manch­mal arg rela­ti­viert wer­den. Ver­su­chen müs­sen wir es ohne Zweifel.

    Auf das Leben kann ich sie manch­mal eben nur durch das DASS vor­be­rei­ten, damit sie die Chan­ce haben, gesell­schaft­li­che Null­vor­bil­der nicht zu adaptieren…

  • @Matthias
    Das sehe ich dia­lek­tisch. Natür­lich sind Kom­pe­ten­zen wich­tig, das för­de­re ich auch im LdL-Unter­richt. Aber was die Inhal­te angeht, ich war immer schon für einen Kanon. In der Lite­ra­tur bei­spiels­wei­se wer­den die zen­tra­len Fra­gen mensch­li­cher Lebens­be­wäl­ti­gung ver­dich­tet ange­bo­ten. Welch ein Glück, dass es so etwas gibt. Ähn­li­ches gilt für die Geschich­te. Wer durch Nürn­berg läuft (z.B.) und vom Mit­tel­al­ter und der Renais­sance kaum etwas weiß, wird abso­lut blind durch die Stadt gehen und nichts erken­nen, daher auch nichts ver­ste­hen. Wer wenig weiß über das Chris­ten­tum und den Islam, wird die heu­ti­ge Welt nicht ver­ste­hen kön­nen, usw. Wenn du Effi Briest nich gele­sen hast, ist es nicht schlimm. Aber es wäre nicht schlecht, wenn du „Die Weber“ von Ger­hard Haupt­mann auf dem Pro­gramm gehabt hät­test, z.B., weil man vie­les vom 19.Jhrdt bes­ser begreift. Und dann gibt es auch die Mög­lich­keit für die Schü­ler, ganz selb­stän­dig im Rah­men von Pro­jek­ten ganz ein­gen­stän­dig neu­es Wis­sen zu kon­stu­ie­ren. Ich plä­die­re für beides.

  • Ich fol­ge gebannt. Unter­richt ist dann eine Illu­si­on, wenn man die zwei Punk­te gan­ze oben glaubt oder weis­macht. (Pas­siert mir sel­ten.) Kein Schü­ler fällt doch auf die Illu­si­on der Frei­heit her­ein, selbst wenn der Leh­rer das glaubt. 

    Was heißt schon Frei­heit? Für mich ist Unter­richt viel­leicht eher wie ein gemein­sa­mes Spiel, ein Rol­len­spiel, ein Fan­ta­sy-Rol­len­spiel: der Spiel­lei­ter hat eine Idee, wo es am Schluss hin­geht; die Spie­ler haben die Frei­heit, mit­zu­ma­chen oder nicht oder zu einem ande­ren, inter­es­san­ten Schluss zu kom­men. In einem ech­ten Dia­log ist kei­ner der Teil­neh­mer frei, son­dern an die Reak­tio­nen des ande­ren gebunden.
    Die Illu­si­on ist dabei die, dass Schü­ler frei­wil­lig mit­spie­len, also in der Schu­le sind.

    Schö­ne Gedan­ken zum Ver­hält­nis Schu­le-Außen­welt von Jür­gen Bau­mert, zusam­men­ge­fasst bei Nor­bert Tho­len: http://norberto42.kulando.de/post/2008/09/09/j‑rgen-baumert-was-ist-schule

  • Hal­lo, Maik,

    mit unge­hö­ri­ger Ver­spä­tung lese ich dei­nen Arti­kel, aber immer­hin. Er ist von so grund­sätz­li­cher Bedeu­tung, dass ich dazu etwas sagen möchte.
    Du gehst von einer rich­ti­gen Beob­ach­tung aus, ziehst aber die fal­schen Schluss­fol­ge­run­gen; denn du hältst für ein Schü­ler­pro­blem, was ein viel all­ge­mei­ne­res Pro­blem ist. Ich füh­re das aus:
    1. Was du the­ma­ti­sierst, ist das Pro­blem, wie Leu­te in Insti­tu­tio­nen enga­giert arbei­ten können.
    Es han­delt sich also nicht nur um das Pro­blem der Schü­ler, son­dern auch um das des Pas­tors in einer Gemein­de, des Leh­rers in einer Schu­le, des Arz­tes in einem Kran­ken­haus – übri­gens auch um das Pro­blem des Pfle­gers oder der Schwes­ter, der Putz­frau oder des Park­wäch­ters. Sie alle sind „ange­stellt“, auf einen bestimm­ten Pos­ten (Auf­ga­ben­be­reich) gestellt, den sie sich mehr oder weni­ger selbst aus­ge­sucht haben. krie­gen für ihre Arbeit Geld und sol­len nun mit Herz und Ver­stand bei der Sache sein – wenn es auch anders geht, wenn man sei­ne Zeit ver­tun und gele­gent­lich krank­fei­ern kann …
    2. Die­ses Pro­blem kann man nicht gene­rell ohne Betei­li­gung der Betrof­fe­nen durch irgend­ei­ne ‚Metho­de‘ lösen. Bei Arzt, Leh­rer und Pries­ter hat man das frü­her über „Gott“ und die Beru­fung = „Beruf“ gelöst, wäh­rend die ande­ren viel­leicht einen Job aus­üb­ten (hieß natür­lich nicht so); aber seit das mit dem GOTT nicht mehr so recht klappt, muss man ande­re Lösun­gen finden.
    3. War­um gehst du gern in die Schu­le? War­um bin ich gern in die Schu­le gegan­gen und habe dort mehr getan, als ich muss­te (= mehr als vie­le ande­re Kol­le­gen)? War­um bist du nicht dau­ernd krank? War­um war ich nicht dau­ernd „krank“?
    Wenn du die­se Fra­gen beant­wor­ten kannst, fin­dest du viel­leicht auch eine Ant­wort, wie man die Schü­ler-Lethar­gie abstel­len kann. Kann man natür­lich nicht, kön­nen nur die Schü­ler sel­ber: Du musst ihnen die Mög­lich­keit dazu geben. Welche?
    4. Ich bin gern in die Schu­le gegangen,
    weil ich etwas leis­ten woll­te [und konn­te, den­ke ich],
    weil ich oft vie­le Frei­räu­me hatte,
    weil ich feed­back von den Schü­lern bekam,
    weil ich vie­le Schü­ler (und Schü­le­rin­nen) sehr gemocht habe,
    weil der Chef mir sei­ne Aner­ken­nung aussprach …

    Das Pro­blem ist kein schu­li­sches, son­dern ein sozia­les: Und die Theo­rie, um es zu ver­ste­hen, ist nicht die Päd­ago­gik (und erst recht nicht die Theo­rie neu­er Medi­en), son­dern die Sozio­lo­gie. Wir (oder ihr: ich bin pen­sio­niert) müsst über den Tel­ler­rand eurer Schu­le hinausblicken …
    Seit vier­zig Jah­ren gibt es Peter L. Ber­ger: Ein­la­dung zur Sozio­lo­gie, ein bril­lan­tes Büch­lein, das für mich eine Erleuch­tung war. Ich kann dir nur emp­feh­len: Lies es, du siehst die Welt dann ganz anders – und du siehst auch, dass du das eigent­lich weißt, was du jetzt expli­zit ver­stehst. In dem Sinn: viel Spaß bei der Lektüre!
    norberto42

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