Moodle – eine persönliche Zwischenbilanz
Wofür halte ich mittlerweile Moodle?
Moodle ist für mich ein methodisches Instrument, um Unterricht medial anders zu gestalten. Wichtige Aspekte sind dabei:
- Asynchronität (zwischen Aktion und Reaktion kann Zeit vergehen)
- Organisierte Kommunikation (und zwar mindestens teiloffene)
- Dokumentationssphäre (z.B. Materialienbereitstellung für Lerngruppen)
- Zeit- und ortsunabhängige Verfügbarkeit der Inhalte
Was sehe ich an Moodle kritisch?
Moodle ist mittlerweile ein hochkomplexes, in seinen Tiefen recht schwer durchschaubares und hochgradig individualisierbares System geworden. Das birgt Chancen, aber auch die Gefahr didaktischer und methodischer Reggression. Unterricht wird m.E. nicht besser allein durch den Einsatz von Moodle. Moodle bietet mittlerweile sogar die Möglichkeit, dass oft kritisierte System Schule mit allen als verkrustetet empfundenen Lernstrukturen virtuell 1:1 nachzubauen. Dazu einige Analogien:
- Die Tür eines Klassenraumes ist geschlossen – ein Moodlekurs ist auch sehr oft geschlossen. Ein solcher Kurs bietet dem Lernenden kommunikativ eigentlich nur Nachteile: Seine Beiträge (Forenpost, Arbeitergebnisse etc.) sind nicht wie in der direkten Kommunikation flüchtig, sondern fixiert und damit auch nach längerer Zeit bewertbar. Fachliche Kommunikation in einem Kurs zu initiieren, die allenfalls Präsenzunterricht ergänzen kann, ist daher wahrscheinlich eher schwierig. Außerdem: Wer will – nach einer ersten Euphorie durch den medialen Bruch – eigentlich auch noch in seiner Freizeit über Unterricht kommunizieren? Material und Erklärung des Lehrenden aufzunehmen, ist da schon eine größere Motivation, um gute Noten zu erlangen.
- Die Kontrolle über Strukturen obliegt in der Schule dem Lehrpersonal – innerhalb von Moodle obliegt sie der Trainerrolle. Mit ihr wird festgelegt, wie Unterricht und seine Inhalte strukturiert sind, wer im Kurs was darf. Damit unterscheidet sich Moodle in diesem Punkt zunächst einmal nicht von einem Klassenraum. Damit betritt der Lernende auch hier zunächst kein Neuland. Seine Möglichkeiten der Partizipation sind prinzipiell erstmal nicht anders als im Unterricht.
- Kommunikation im Klassenraum ist oft ineffizient, weil angesichts der großen Lerngruppen oft zu viele Rückzugsmöglichkeiten bestehen – Kommunikation in Moodle oft ist ineffzient, weil sie auf die Schrift-/Leseebene reduziert ist, weil es SuS und LuL viel zu oft an anderen medialen Ausdrucksformen fehlt. Das wäre anders, wenn die Wissensdifferenz zwischen Lehrendem und Lernendem gering ausfiele. Auf fachlicher Ebene ist sie das gerade im Mittelstufenunterricht oft nicht. Wissen kann unter dieser Präferenz nur innerhalb der Lerngruppe selbst generiert werden und dafür gibt es m.E. geeigetere Formen als virtualisierte Kontakte von Gruppen, die sich täglich sowieso real begreifen und zusätzlich auch noch Zwangsgemeinschaften sind.
Zur Verdeutlichung: Ich habe geschrieben, dass Moodle die Möglichkeit bietet, klassischen Unterricht und bestehende Schulstrukturen lediglich zu virtualisieren. Wenn das tatsächlich geschieht, ist das kein Versäumnis von Moodle!
Warum ich ungern Moodlekurse erstelle
In der jetzigen Form befriedigt Moodle keines meiner Bedürfnisse, welches hinter jedweder Veröffentlichung irgendeines Materials steht.
- Ich muss mein Material selbst strukturieren
- Ich muss mein Material selbst mit Metainformationen versehen
- Ich kann mein Material nur sehr umständlich über Kursgrenzen hinweg quervernetzen
- Mein Material ist nicht recherchierbar von Lernern außerhalb von Moodle – bzw. außerhalb eines MNET-Verbundes. Damit bleibt eine große Ressource ungenutzt.
- Mein Material ist nur innerhalb von Moodle portierbar, es sei denn, ich nutze z.B. SCORM
- Die weitere Entwicklung von Moodle ist mir noch zu ungewiss. Innerhalb der Moodlecommunity verschränken sich für mich wirtschaftliche und ideelle Kräfte ohne klare Trennung wie in anderen OpenSource-Projekten üblich, sodass ich noch viel weniger als sonst weiß, wer von freiem Content wirklich profitiert.
Ein offener Lehrerblogverbund ist in dieser Hinsicht ideell für mich viel ertragreicher. In Blogs generiert sich Wissen für mich viel konstruktivistischer als dies innerhalb in Moodle bisher bei meinen ersten, dilletantischen Gehversuchen der Fall war. Und das ist für mich systemisch bedingt. Zusätzlich bestimme ich in meinem Blog zumindest auf dem Papier über die Weiterverwendung meiner Inhalte.
Konsequenzen
- Alles innerhalb eines Moodlekurses muss für jeden Lernenden kommentierbar sein. Durch Kommentare von SuS zu z.B. einem von mir erstellten oder verlinkten Material setzt für mich erst die Wissenskonstruktion ein, die ich mir verspreche. So kann ich konkret erfahren, welche Aspekte ich z.B. nicht berücksichtigt oder wo ich nicht deutlich genug erklärt bzw. strukturiert habe. Kommentar und konkrete Ressource müssen dabei für mich eng verbunden sein. Nur so lerne ich persönlich etwas von meinen SuS – und diese lernen dabei auch etwas: z.B. ernstgenommen zu werden. Das bietet für mich die Chance eines teilweisen Ausgleichs der unterschiedlichen Augenhöhe.
- Moodle muss den Lernenden (denen in der Teilnehmendenrolle) noch weit mehr Möglichkeiten geben, an der inhaltlichen und strukturellen Ausgestaltung von Kursinhalten zu partizipieren. Das geschieht bereits in einigen Lernaktivitäten, aber dieser Weg muss für mich noch konsequenter fortgeführt werden. Die Kommentarfunktion wäre da ein Beispiel. Ein individell frei gestalbarer Bereich für jeden Teilnehmenden – wie etwa durch Portfoliosystem (exabis) sind da für mich ein Schritt in die richtige Richtung, wenn diese Portfolios auch verschiedengradig öffentlich gemacht werden können: z.B. Gruppe, Kursbereich, Moodlesystem, Welt. Mahara macht es für ich in diesem Bereich exzellent vor.
- Inhalte aus Moodlekursen müssen losgelöst von personenbezogenen Daten für jedermann von überall auf der Welt recherchierbar sein. Nur so würde für mich die Schaffung von Kursinhalten effizient. Ich nutze die Inhalte in meinem Unterricht und bekomme von außerhalb meines Unterrichts dazu zusätzlich als Input. Mit „außerhalb“ meine ich dabei nicht andere Lehrer oder Schüler.
- Moodle ist ein Unterrichtsinstrument, eine für mich geniale Zusammenführung verschiedener Methoden, von denen keine neu ist – ein Instrument verändert Unterricht durch die Art seiner Benutzung. Es ist für mich fahrlässig zu behaupten, dass ein Instrument von sich aus Unterricht verändert – wie es allgemeinen Hype um Moodle manchmal geschieht. Ohne eine Einführung in das Prinzip, welches hinter dem Kontruktivismus steht, wird Moodle m.E. keinen wirklichen Fortschritt bringen können, sondern lediglich bestehende Strukturen virtuell abbilden.
Viele meiner Konsequenzen sind bereits heute mit Moodle umsetzbar, wenn ich als Lehrender bereit bin, den Lernenden mehr zu vertrauen und ich den Mut aufbringe, mich ihrer wichtigen Kritik bzw. Rückmeldung auch auszusetzen. Ich wünschte mir in diesem Bereich mehr „Best-Practise“-Beispiele – völlig unabhängig von Moodle. Ein Forum bleibt ein Forum – ob nun in Moodle oder anderswo eingesetzt. Ein Blog bleibt ein Blog und ein Artikel ein Artikel.
Spannend finde ich noch folgende Beobachtung:
- Das Technikforum auf moodle.org boomt und viele Fragen erwecken für mich den Anschein, als werde gerade versucht, bestehende Strukturen in Schule auf Moodle abzubilden, etwa wenn der Wunsch nach vorgegebenen Lernwegen aufkommt.
- Das pädagogische Forum, das ich für die Arbeit mit Moodle für weitaus wichtiger halte, schläft – Ralf Hilgenstock schreibt in der Forenbeschreibung: Schläft dieses Forum – schläft Moodle.
Ketzerisch formuliert: Ist Moodle im Prinzip eine Spielwiese für technikverliebte Pädagogen, die sich zu viel zutrauen und nicht bei ihren Leisten bleiben?
Holla, die Waldfee. Man soll nicht sagen, die Moodlecommunity wäre nicht schnell.
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Das sehe ich ganz genau so: Lernplattformen sind idealtypisch längst über das »blended learning« hinaus und für eine Zusammenstellung frei verfügbarer Instrumente wie Blog, Microblog, Fachforen, verlinkte Netze zur Wissenskonstruktion, in denen aufeinander reagiert wird und die Beteiligten sich gegenseitig somit weiter bringen.
Idealtypisch geht – und das ist längst möglich – nicht mehr primär um Rezeption von Wissen, sondern um Produktion, was natürlich genügend Rezeption von Wissen mit einschließt, allerdings immer so, dass ich darauf irgendwie reagiere, damit selbst am Wissen weiter baue.
Ich verzichte bislang auf den Einsatz von Moodle (nicht aber auf das Ausprobieren, in einer nicht öffentlich zugänglichen Installation, will ja wissen, worüber ich rede. Die Gründe lege ich hier dar.
„allerdings immer so, dass ich darauf irgendwie reagiere, damit selbst am Wissen weiter baue.“
Generell ist für mich jede Deskription von Wissen ja auch eine Rezeption von Fremdwissen. Bei Wissensnetzwerken habe ich sehr oft das Problem, dass der tragende Input, die eigentliche Substanz oft nur von sehr wenigen menschlichen Neuronen ausgeht und ein Großteil des Netzwerkes eben wissensletal rezpiert, d.h. umdeskribiert – das spricht du ja auch an in der Problematik von Drag’n Drop.
Mehrwert könnte dadurch entstehen, dass sich SuS mit z.B. ihren Texten in die begleitete „Öffentlichkeit“ stellen un es als Bereicherung erleben, wenn darauf reagiert wird.
Dafür können LMS wie Moodle m.E. tatsächlich einen geeigneten Schutzraum bieten, wenn z.B. zwei Klassen aus zwei verschiedenen Bundesländern einander ihre Texte (Deutschunterricht) vorstellen.
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Das ist m.E. oft der Fall – bzw. sie bleiben gerade bei Ihren Leisten, indem sie die bisherigen Strukturen digital machen möchten. Das ist wieder mal vom Tool her gedacht: „Wie könnte ich meinen (bisherigen) Unterricht mit Moodle machen“.
Die Frage, die eigentlich gestellt werden müsste: „Was bringt Moodle [hier eine beliebige Innovation einfügen] Neues, das die bisherigen Einschränkungen des Lernerfolgs vermindern könnte“ – man muss die Tools gut kennen, um das beurteilen zu können, aber man muss eben auch „out of the box“ denken.
Hallo zusammen,
das ernüchtert hier ja ein wenig, aber ich habe auch nicht vor, 1:1 meine Präsenzseminare über technische Grundlagen unserer Produkte wiederzugeben, sondern weltweit eine einigermaßen gleichmäßige Grundausbildung der Mitarbeiter zu erleichtern. Es ist für uns nicht praktikabel, in einer 2000 Personen Firma alle Neuen erstmal 6 Wochen nach Deutschland kommen zu lassen…
Diese Präsenzseminare wird es weiter geben, aber ich kann die dann auf einem ganz anderen Niveau ansetzen wenn die Leute vorher inetwa auf einem Stand sind.
Ich erhoffe mir von Moodle auch einen Überblick wer denn was schon gemacht hat, es sieht sich ja also LMS und nicht in erster Linie als Lehrerersatz…
In der Schule sehen wir uns täglich – in einem weltweit agierenden Unternehmen nicht. Deswegen sind diese beiden Setups auch nicht so ohne weiteres vergleichbar – schon von der Klientel her.
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